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Image: Federico Mena Quintero, a Creative Commons Attribution Share-Alike (2.0) image from szilveszter_farkas's photostream

Seit Jahren ist der Linux-Desktop - neben vielen kleineren Projekten - von der Dualität KDE/GNOME gekennzeichnet. Einer der von Anfang mit dabei war, ist Federico Mena-Quintero. Der aktuell bei SUSE beschäftigte, mexikanische Softwareentwickler hatte im Jahr 1997 das GNOME-Projekt gemeinsam mit seinem Studienkollegen Miguel de Icaza ins Leben gerufen. Während de Icaza seit Jahren vor allem mit dem freien .Net Mono beschäftigt ist, widmet Mena-Quintero seine Zeit weiter uneingeschränkt dem GNOME - war über die Jahre an vielen unterschiedlichen Stellen im Desktop aktiv. Vor allem in den vergangenen Jahren propagiert er den "Dokument-zentrischen" Desktop, über dieses Konzept, seine Einschätzung - und Kritik - der aktuellen Ausrichtung des GNOME-Projekts und die Wichtigkeit eines individuell anpassbaren Desktops, hat er im Verlauf des Desktop Summits mit Andreas Proschofsky gesprochen.

Das Interview wurde leicht gekürzt, es ist aber auch das vollständige, englischsprachige Original verfügbar.

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derStandard.at: In den letzten Jahren haben Sie immer wieder vom "Dokument-zentrischen Desktop" gesprochen. Können Sie kurz umreißen, worum es dabei geht, und welche Probleme auf diesem Weg gelöst werden sollen?

Federico Mena-Quintero: Das derzeit vorherrschende, hierarchische Dateisystemmodel ist aus mehreren, sehr subtilen Gründen schwer zu benutzen. So muss man zunächst einmal Namen wählen - und es braucht viel Disziplin, um einen guten Namen zu wählen. Zum zweiten muss man den "richtigen" Ort zum Speichern bestimmen, und das ist eine ziemlich schwierige Aufgabe, also tendieren die Leute dazu, alles an irgendeinem zufälligen Ort abzulegen. Und mit der Zeit wird es immer schwieriger überhaupt noch irgendetwas zu finden. Dazu kommt, dass jede Anwendung ihre eigenen Regeln hat, wo sie etwas abspeichert, wodurch all das oft nicht wirklich vorhersehbar ist.

Zur Illustrierung ein Beispiel: Mein Vater hat eine Spielwarenhandlung, und eines Tages hat er mich gefragt: "Hey, ich würde gern Barcodes für die Sachen, die ich verkaufe, erstellen, kannst du mir dabei helfen?" Also habe ich ein passendes Programm herausgesucht, seine Nummern in Barcodes umgewandelt und ihm das Ergebnis als PDF per Mail geschickt. Ein paar Wochen später habe ich ihn wieder angerufen und gefragt: "Hat das mit den Barcodes funktioniert?". Und er darauf: "Nein. Ich konnte die Datei nicht öffnen". Also habe ich ihn darum gebeten, mir schrittweise zu erzählen, was er gemacht hat, und schlussendlich stellte sich heraus, das er die Datei zwar abgespeichert hatte, sie danach aber nicht mehr gefunden hat, um sie öffnen und ausdrucken zu können. Und solche Sachen passieren dauernd.

Beim Dokument-zentrischen GNOME geht es genau darum - solch kleine, sehr reale Probleme aufzuspüren und etwas dagegen zu tun. Bei der GUADEC 2008 in Istanbul habe ich zum ersten Mal ein automatisch erstelltes Journal vorgeschlagen, das alle Aktivitäten anhand einer Zeitlinie zeigt.

derStandard.at: Daraus ist dann also das Zeitgeist-Projekts entstanden?

Federico Mena-Quintero: Ja. Ich hatte bereits damit begonnen meine Ideen umzusetzen, da kommt Seif Lotfy vorbei und sagt einfach: "Hey, ich mochte deine Idee und habe sie einfach mal implementiert". Und er hat dabei wirklich gute Arbeit geleistet. Er hat eine separaten Daemon für das Loggen eingesetzt, und das hatte durchaus interessante Konsequenzen. Denn ich hatte urspünglich nur vor verschiedene bereits vorhandene Quellen zu durchstöbern, aber Seifs Service hat viel mehr gemacht und genau jene Informationen aufgezeichnet, die wir brauchten.

Das Journal selbst verfolgt verschiedene Ziel. Man kann damit nachschauen, was man zu einem gewissen Zeitpunkt getan hat. Es löst aber auch Probleme, wie jenes meiner Frau, die sich oft fragt: "Was war der Name dieser Datei, die ich vor ein paar Tagen abgespeichert habe". Sie kann nun einfach die Zeitlinie durchschauen und so die passende Datei aufspüren.

derStandard.at: Ist das Journal alles, worum es beim Dokument-zentrischen GNOME geht?

Federico Mena-Quintero: Nein, es gibt natürlich noch andere Teile. Um zu verhindern, dass Dateien unabsichtlich irgendwo landen, habe ich damit begonnen einige Änderungen am Dateiauswahldialog von GTK+ vorzunehmen. Wenn man jetzt zum ersten Mal auf "Speichern" geht, zeigen wir eine Liste von zuletzt benutzen Verzeichnissen an. Die Idee dahinter ist, dass man bewusst einen Ort wählen muss, und die Datei so weniger leicht einfach irgendwo landet. Das muss sich natürlich erst bewähren, mal sehen, bisher scheint das ganz gut zu funktionieren. Und wenn man "Öffnen" klickt, zeigen wir statt einem x-beliebigen Verzeichnis, das die Anwendung vorbestimmt, nun eine Liste der zuletzt benutzten Dateien an.

derStandard.at: Aber man muss noch immer einen Ort auswählen...

Federico Mena-Quintero: Ja. Und das ist ein Problem.

derStandard.at: Langfristig wollen Sie also den Dateiauswahldialog ganz los werden?

Federico Mena-Quintero: Richtig. Sehen wir uns [das Desktop-Wiki] Tomboy an. Das Nette an diesem ist: Man tippt einfach seine Notizen und sie werden automatisch abgespeichert, man muss sich nicht darum kümmern wo, kann sie aber über das Menü immer leicht erreichen. Google Docs speichert auch automatisch, Apple geht ebenfalls in diese Richtung - übrigens bin ich etwas sauer, dass die das implementiert haben, bevor wir es geschafft haben.

Das Konzept ist, dass man ein Dokument schreibt und es wird regelmäßig automatisch abgespeichert. Der Titel wird entweder automatisch anhand des Inhalts erstellt oder muss manuell angegeben werden, aber man muss sich keine Gedanken darüber machen, wo etwas abgespeichert wird. Und das wird dann alles im Journal angezeigt, und da niemand gern viele "Untitled"-Einträge haben will, werden die User damit beginnen gute Namen auszuwählen. Dessen Änderung könnten wir einfach über die Titelzeile ermöglichen.

derStandard.at: Sind die Arbeiten an so etwas bereits im Laufen?

Federico Mena-Quintero: Noch nicht. Die Umsetzung von "Autosave" sollte aber leicht zu starten sein, beginnend mit kleineren Anwendungen wie gedit, um dann zu komplexeren Programmen wie LibreOffice voranzuschreiten.

Haben wir einmal Autosave, können wir die nächsten Schritte setzen. Wie ich auch hier in einem Vortrag erwähnt habe, sollten wir immer schrittweise vorgehen. Also zuerst einmal das Journal, dann Autosave, und danach können wir uns überlegen, ob es möglich ist, das klassische Dateisystem hinter uns zu lassen, etwa für semantische Herangehensweisen an das Thema Dateimanagement.

derStandard.at: Die konkrete Umsetzung des Journals hat mit der Zeit immer wieder größere Umbauten erfahren, wo wird dieses langfristig landen? Als eigene Anwendung wie das GNOME Activity Journal oder doch direkt in der GNOME Shell?

Federico Mena-Quintero: Wir haben mittlerweile eine Erweiterung, die das Journal in der GNOME Shell anzeigt. Diese werden wir bald nach dem Ende des diesjährigen Summer of Code [in dessen Rahmen die Entwicklung erfolgt, Anm.] freigeben. [Die Erweiterung ist mittlerweile für GNOME 3.2 erhältlich, Anm.]

Der Grund dafür das direkt in der Shell zu haben ist schlicht, dass es nichts wichtigeres als die eigenen Daten gibt. Und wenn die Shell der zentrale Zugang zum Desktop ist, dann sollen die eigenen Daten auch genau dort präsentiert werden. Wenn man dafür eine eigene Anwendung benötigt, ist das wie wenn man im echten Leben in eine andere Straße gehen muss, um zu bekommen, was man will.

derStandard.at: Welche Rolle nehmen Online-Speicher / die Cloud in diesem Konzept ein?

Federico Mena-Quintero: Das ist für uns [das Zeitgeist-Team, Anm.] derzeit noch nicht so wichtig. Wir werden uns das sicher ansehen, aber ich denke es ist besser zuerst einmal die lokalen Probleme zu lösen. Was man nicht vergessen darf: Letztendlich muss alles, mit dem man wirklich etwas tun will, ohnehin am eigenen Rechner landen. Sobald man mit der realen Welt interagieren will - etwa zum Ausdrucken - braucht man die Sachen lokal.

Außerdem ist die Cloud dort wo ich lebe auch einfach keine Alltäglichkeit. In Mexiko haben die Menschen nicht dutzende Geräte. Ein Laptop ist ein Luxusgut. Die meisten haben Mobiltelefone, aber nur sehr wenige Smartphones, weil sie - und auch die Verträge - zu teuer sind. Wenn sich jemand einen Computer kauft, dann behält er ihn für viele Jahre. Der Rechner im Geschäft meines Vaters ist 10 Jahre alt und hat eine sehr langsame Internetanbindung. Insofern finde ich es etwas arrogant einfach so zu sagen, dass alles in der Cloud abgespeichert werden soll, das ist dort, wo ich lebe, einfach unrealistisch.

Und selbst in weit entwickelten Staaten wie den USA oder Deutschland ist man nicht dauernd online. Insofern macht es durchaus Sinn zuerst mal die ganz banalen, lokalen Probleme zu beseitigen, bevor man sich um die Cloud kümmert.

derStandard.at: Als einer der GNOME-Gründer, wie zufrieden sind sie mit der Entwicklung des Projekts über die Jahre?

Federico Mena-Quintero: Zu Beginn gab es nichts. Nur Chaos. [lacht] Wir hatten so wenig Infrastruktur, wir mussten so viel implementieren, dass praktisch jeder Beitrag wertvoll war. Wir hatten damals ziemlich verrückte Beiträge, weil es unsinnig gewesen wäre, diese abzulehnen. Einer der GNOME-Gründer, Elliot Lee, liebte es kleine, verrückte Tools zu schreiben. Also war eines der ersten GNOME-Programme ein Tool zum Verwalten von Mailing-Listen. Und damals die Anbindung an andere Programmiersprachen noch ein großes Ding war, hat er das Tool in Objective-C implementiert - nur um zu demonstrieren, dass GNOME-Programme auch in anderen Sprachen als C verfasst werden können. Von solchen Dingen gab es viele, wir hatten sogar einmal einen Rezeptmanger im Desktop.

Mit der Zeit konnten wir uns den Luxus erlauben zu manchen Beiträgen "Nein" zu sagen, wenn sie nicht wirklich sinnvoll waren. Und dann stieg Sun Microsystem in die GNOME-Entwicklung ein, und brachte uns bei Usabilty mitzudenken. Also entwickelte sich dieses gemeinsame Verständnis, dass unsere Programme allgemein nützlich sein müssen, und nicht nur bloße reine "Hacker Tools" bleiben sollen. Und dann gab es natürlich noch die ganze Bemühungen in Richtung Barrierefreiheit, so haben sich die Dinge langsam verändert.

Die aktuellste Änderung ist, dass alle Entscheidungen jetzt vom Design-Team abgesegnet werden, und das halt ich ehrlich gesagt für keine gute Idee. Es sollte keine zentrale Autorität geben, so ein Konzept "skaliert" einfach nicht. Und so lernt auch niemand, wie man richtiges Design macht. Mir wäre es lieber, wenn wir statt einer zentralen Gruppe mit Veto-Möglichkeit zu einem Modell voranschreiten, wo wir ein gemeinsames Verständnis von gutem Design - und guter Umsetzung - entwickeln. Dann können wir gemeinsam alle Vorschläge anhand ihrer Meriten beurteilen und bei Bedarf anpassen, anstatt einfach zu sagen "Nein, das gefällt mir nicht, weil es meine Design-Kriterien nicht erfüllt".

derStandard.at: Ist es überhaupt möglich ein Design zu haben, das alle zufriedenstellt - vom Kernel-Hacker bis zu Neueinsteigern?

Federico Mena-Quintero: Nein. Mein Haus ist sehr nett, es hat eine gut gestaltete Küche, feine Schlafzimmer und viel Sonnenlicht. Für mich und meine Familie ist es perfekt, immerhin haben wir es ja auch gemeinsam entworfen. Wenn ich Ihnen mein Haus verkaufen würde, wäre es sicher noch immer recht angenehm, aber manches würde trotzdem nicht passen. Sie könnten unterschiedliche Ansprüche ans Kochen haben, eventuell brauchen sie ein Extra-Schlafzimmer, weil ihre Familie sehr groß ist, also würden Sie das Haus anpassen wollen.

Also selbst, wenn Räume prinzipiell von jedem genutzt werden können, werden die meisten sie doch nach ihrem eigenen Geschmack modifizieren wollen.Und bei Computern ist es das selbe, weil einfach jeder einen etwas anderen Workflow hat. Also müssen wir darauf schauen, dass der Desktop an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann. Natürlich sollten wir niemanden dazu zwingen alles von Grund auf selbst gestalten zu müssen. Aber wir sollten eine gute Basis zur Verfügung stellen, auf der die User dann herausfinden können, wie sie arbeiten wollen. Insofern wäre es ziemlich arrogant zu sagen, dass etwas nicht anpassbar sein soll, weil wir ohnehin schon ein gutes Design abgeliefert haben.

derStandard.at: Widerspricht dem nicht der aktuelle Erfolg von Apple mit seinen bekanntermaßen sehr strikten Design-Regeln?

Federico Mena-Quintero: Ich glaube Macs bieten eine sehr gute Basis, aber sie sind wesentlich besser anpassbar, als viele denken. Power-User modifizieren ihre Macs in vielerlei Hinsicht, sie installieren Quicksilver, um schneller Anwendungen starten zu können, und das gilt auch für viele andere Programme, die sie für ihren Workflow nützlich finden. Lässt man so etwas nicht zu, dann zieht man auch nur die Basis-User an.

derStandard.at: Hier kommt also nun das Erweiterungssystem der GNOME Shell ins Spiel?

Federico Mena-Quintero: Genau. Ich habe einmal ein Zitat von einem sehr schlauen Programmierer gelesen: "Es ist besser von einem sehr flexiblen System auszugehen, das man später auf etwas wirklich brauchbares beschränkt, als ein sehr abgeschlossenes System zu entwickeln, das man danach erweitert. Man bekommt einfach eine viel bessere Architektur, wenn man sehr offen herangeht. Und ich denke die Aufgabe der GNOME Shell sollte genau das sein: Sachen ermöglichen, die die meisten Leuten nicht machen würden.

Ein Beispiel: Red Hat hatte einmal diesen Vertrag mit Pixar, und denen war es wirklich, wirklich wichtig, dass das Applet zur Anzeige des Speicherstands zuverlässig läuft. Die Frage war natürlich: Warum? Immerhin haben sie diese riesigen Workstations mit Massen an Hauptspeicher. Nun - es hat sich herausgestellt, dass sie eine proprietäre Anwendung für 3D-Editing verwendet haben, die voller Speicherlecks war. Und früher oder später ist dann einfach alles abgestürzt. Also mussten die Angestellten bei Pixar immer den Speicherverbrauch im Auge haben, damit sie die Anwendung rechtzeitig sicher beenden können, bevor sie abstürzt und alle Arbeit seit dem letzten Speicherstand verloren ist. Nur sehr wenige Leute brauchen wirklich einen Speichermonitor, aber diejenigen, die ihn benötigen, können ohne nicht arbeiten.

Also beginnen wir mit einer guten Basis - jeder muss Dateien verwalten, jeder muss zu anderen Programmen wechseln oder neue starten, aber erlauben wir auch die Anpassbarkeit für spezielle Bedürfnisse.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(, derStandard.at, 13.11.11)