Unter dem frühgeschichtlichen Titel "Back to Mesopotamia" veröffentlichte die weltweit agierende Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group kürzlich eine Analyse , die sich auf folgenden Kern eindampfen lässt:

Die Welt insgesamt hat einen solchen Schuldenberg angehäuft, dass ein "Haircut" nicht nur für Pleitestaaten wie Griechenland, sondern praktisch für die gesamte Welt, vor allem aber die Industriestaaten fällig wird. Und zwar nicht nur für die Staaten, sondern auch für die Unternehmen (Banken) und die privaten Haushalte (Link). Zusammenfassungen unter www.heise.de und www.zerohedge.com). Auch im alten Mesopotamien hätte jeder neue Herrscher mit einem allgemeinen Schuldenerlass begonnen.

Eine derartige Radikalmaßnahme ist angesichts der politischen Gegebenheiten unwahrscheinlich, wie auch die Autoren zugeben; aber deren Grundannahme ist nachvollziehbar: 25 Jahre kreditfinanzierter Expansion (auch des Sozialstaates, muss man hinzufügen) hätten zu einem gewaltigen Schuldenüberhang geführt - in der industrialisierten Welt 21 Billionen Dollar über der absolut tolerierbaren Höchstgrenze von jeweils 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Staaten, Unternehmen und Haushalte.

Jenseits von 60 Prozent Schulden sei in jeder Kategorie nachhaltiges Wirtschaften nicht möglich, weil die Zinsen die Mittel für Investitionen etc. auffressen. Es gäbe zwei Möglichkeiten, von diesem destruktiven Schuldenberg herunter zu kommen: Inflationierung, wodurch die Schulden allmählich weniger wert würden. Diese Möglichkeit würde von den Politikern bevorzugt (und wird in Ansätzen schon jetzt praktiziert, weil die diversen Rettungsaktionen der EZB und der Fed auf Gelddrucken hinauslaufen). Sie dauere aber zu lange, inzwischen könne der große Crash (Banken, Staaten) längst eingetreten sein.

Die andere Methode seien brutale Steuererhöhungen - für alle. In der Eurozone etwa beträgt nach den Berechnungen der Studie der Schuldenüberhang 6,1 Billionen Euro (in den USA 8,2 Billionen Euro). Zur Finanzierung dieser gewaltigen Redimensionierung stellen sich die Autoren der Studie eine einmalige Vermögensteuer auf Finanzanlagen über 100.000 Euro vor. Die würde , je nach Zustand des betreffenden Staates, elf Prozent (Deutschland) ausmachen oder im Fall von Portugal, Spanien und Griechenland praktisch die gesamten privaten Finanzvermögen konfiszieren. Dazu käme noch eine Steuer auf Erträge aus Immobilienvermögen.

Der Fokus der Studie liegt auf dieser Vermögenssteuer. Einsparungen von übertriebenen Staatsausgaben spielen kaum eine Rolle. Die Autoren halten einen solchen koordinierten Kraftakt auch nur dann für möglich, wenn "die Bedingungen denen der Dreißigerjahre ähneln". Nicht einmal dann, möchte man meinen. Aber in irgendeiner Form wird es zu einem Haircut für uns alle kommen - sei es durch Leistungskürzungen des Sozialstaates, Abbau von Verwaltungsstrukturen (zu allerletzt) und eben durch saftige zusätzliche Steuern. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 15.10.2011)