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Foto: REUTERS/Regis Duvignau

Frankreich bewegte sich am Dienstag wieder einmal im Krebsgang – wenn überhaupt. Die Eisenbahn war weit gehend ebenso lahm gelegt wie der Luftverkehr. Die Pariser Metrolinien und Vorortszüge funktionierten mehr schlecht als recht. Kein Wunder, wurden auf den französischen Autobahnen gestern Früh Staukolonnen von insgesamt 320 Kilometer Länge gezählt.

Ausstände gab es auch beim staatlichen Stromkonzern EdF, der Post, einzelnen Banken und Druckereibetrieben. In Paris erschienen deshalb kaum Zeitungen. Zum wiederholten Mal seit Schuljahresbeginn streikten auch die 820.000 französischen Lehrer.

Die Gewerkschaften"Confédération générale du travail (CGT) und Force ouvrière (FO) riefen zu weiteren Aktionen in den nächsten Tagen auf. Sie wollen den Widerstand mindestens bis zur nächsten Woche aufrechterhalten, wenn das Parlament die Beratungen über die Pensionsreform aufnimmt. Im Kern soll die Beitragsdauer der öffentlichen Angestellten von heute 37,5 Jahren derjenigen des Privatsektors (40 Jahre) angeglichen werden; bis 2020 soll die Zahl der Beitragsjahre für alle Erwerbstätigen stufenweise auf 42 Jahre erhöht werden, um in den Genuss einer vollen Pension zu gelangen. Raffarin will das Gesetz noch vor der Sommerpause über die Bühne bringen.

Er hält auch nach dem neuerlichen Streiktag daran fest. Um das Kernstück seiner einjährigen Amtszeit zu retten, musste er in den letzten Tagen allerdings auf zwei Nebenschauplätzen nachgegeben: Die geplante Dezentralisierung einzelner Schuldienste sowie die verstärkte Autonomie der Universitäten werden auf den Herbst verschoben. Mit diesem Schachzug hofft die Regierung, besonders den Lehrerzorn zu besänftigen.

Ansonsten schien der Streik gestern nicht mehr ganz so stark befolgt gewesen zu sein wie bei den letzten Ausständen im öffentlichen Dienst. Dies mag mit Ermüdungserscheinungen zu tun haben; zudem ist es der Regierung gelungen, einen Spaltkeil in die Gewerkschaften zu treiben. Die gemäßigte CFDT hat die Rentenreform genehmigt. Pragmatische Oppositionspolitiker des Parti Socialiste wie Expremierminister Michel Rocard oder der ehemalige EU- Kommissionspräsident Jacques Delors ließen verlauten, die Linke könnte keine bessere Pensionsreform vorlegen, wenn sie an der Macht wäre. In der Tat hatte es Sozialistenchef François Hollande nicht fertig gebracht, wie versprochen ein ganzes Gegenprojekt vorzulegen; er musste sich schließlich mit der Publikation einzelner "Reform-Pisten" begnügen.

Raffarin setzt nun darauf, dass sich die Streikbewegung tot läuft, während er gleichzeitig ein paar Konzessionen macht. Bloß wird ihm das auch als Schwäche ausgelegt. Die Machtprobe ist allerdings noch nicht entschieden. Auf Dauer wird die Volksmeinung den Ausschlag geben. Fürs Erste sinkt Raffarins Beliebtheit in Umfragen. Aber auch die Streikenden verspielen wegen der Verkehrsbehinderungen zunehmend die Sympathien, auf die sie bei den rebellischen Franzosen sonst zählen können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 4.6.2003)