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Nach den Vorwürfen im Schloss Wilhelminenberg ist auch eine politische Debatte um die Verjährungsfrist bei Kindesmissbrauch entbrannt.

APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER

Wien - Die Missbrauchsvorwürfe zweier ehemaliger Zöglinge des Kinderheimes am Schloss Wilhelminenberg gegen Erzieher der Anstalt sollen nun von einer externen Kommission unter die Lupe genommen werden. Das hat der Leiter des Wiener Jugendamts (MA 11), Johannes Köhler, am Montag in einer Pressekonferenz angekündigt. Die betroffene Anstalt wurde im Jahr 1977 aufgelassen.

Konkret soll untersucht werden, ob die Vorwürfe, die die beiden Frauen erhoben haben, "der Tatsache entsprechen". Die Zöglinge erzählten unter anderem von Kinderprostitution und Serienvergewaltigungen - und das über einen längeren Zeitraum. Aus diesem Grund werde derzeit ein pensionierter Richter oder Staatsanwalt gesucht, der als Leiter der Kommission "Schloss Wilhelminenberg" fungieren soll, so Köhler. Die Ergebnisse sollen in einem Abschlussbericht zusammengefasst werden.

Methoden in 1970ern "sadistisch"

In den 1970er-Jahren und vorher hätten Erzieher mit physischer und psychischer Gewalt Erziehungsmethoden angewandt, die sicherlich auch "sadistisch" waren, erklärte Köhler: "Das steht außer Zweifel." Der Vorwurf, dass organisiert minderjährige Mädchen zur Prostitution vermittelt worden seien, sei "schwerwiegend": "Das würde nämlich bedingen, dass alle diese früheren Erzieherinnen, die hier gearbeitet haben, davon gewusst haben und alle unter eine Decke gesteckt sind." Das sei etwas, was man nicht so einfach im Raum stehen lassen könne.

"Wir prüfen das ganz genau und schließen das nicht aus", betonte Josef Hiebl von der Leiter der Gruppe Recht der MA 11. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe am Sonntag würden sich "viertelstündlich" Zeitzeugen melden. Diese würden eingeladen werden, mit der Kommission zu reden.

Die Angaben der beiden Frauen seien - soweit es möglich war - mit den vorhandenen Heimakten verglichen worden. "Bestimmte Eckdaten treffen zu", so Hiebl. Bestimmte Personen würden hingegen nicht in den Unterlagen aufscheinen. So habe es in diesem Heim zu jener Zeit zum Beispiel keine Männer als Erzieher gegeben - wohl aber hätten Zeitzeugen etwa von Portieren, einem Hausmeister und einem Magazineur erzählt. Zudem hätte es etwa auch einen Heimarzt gegeben, der stundenweise im Schloss ordiniert hätte.

Opfer-Anwalt: Stadt Wien weiß seit Juli Bescheid

Johannes Öhlböck, der Anwalt der beiden Zöglinge, erklärte auf Ö1, dass er die Vorwürfe seiner Mandantinnen schon im Juli der Stadt Wien mitgeteilt habe. Aus dem Büro des zuständigen Stadtrats Christian Oxonitsch wurde auch bestätigt, dass ein Schreiben im Juli eingegangen sei. Weil dieses aber sehr unkonkret gewesen sei, habe man den Fall an den Weißen Ring weitergeleitet, der solche Meldungen für die Stadt Wien bearbeite.

Die Stadt Wien habe daraufhin auch eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht, heißt es aus dem Büro Oxonitsch. Wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien bestätigte, sei Anfang Oktober eine Anzeige der Stadt Wien eingegangen. Seither werde gegen vier Personen ermittelt, die namentlich bekannt seien, und auch gegen Unbekannte.

Jugendamtsleiter Köhler berichtete in der Pressekonferenz, dass zwei Sozialpädagoginnen, die im Heim am Wilhelminenberg arbeiteten, auch heute noch ihren Dienst versehen: eine in einer Wohngemeinschaft, die andere beim betreuten Wohnen. Bei zwei weiteren Erzieherinnen laufe derzeit das Pensionierungsverfahren. Mit den vier Frauen sei bereits gesprochen worden. Sie hätten die Vorwürfe bestritten.

Ehemaliger Sozialpädagoge: "In der Dimension unvorstellbar"

Das Schloss Wilhelminenberg war von Anfang der 1960er Jahre bis 1977 ein Heim für Sonderschülerinnen. Auch ein ehemaliger Mitarbeiter war am Montag bei der Pressekonferenz anwesend: Der ehemalige Sozialpädagoge Hans Feigelfeld hat zu jener Zeit in einem Seitentrakt des Gebäudes gearbeitet, er war Leiter eines reformpädagogischen Projekts. Mit dem Heimbetrieb, habe er nichts zu tun gehabt: Er sei der Heimleitung nicht hierarchisch unterstellt gewesen, auch mit den Erzieherinnen habe es nur minimalen bis gar keinen Kontakt gegeben.

Zu den nun bekanntgewordenen Vorwürfen meinte Feigelfeld: "In dieser Dimension ist es für mich nicht vorstellbar." Das übersteige seine Fantasie an technischen Möglichkeiten. 20 Kinder über so lange Zeit zu vergewaltigen, ohne dass es von der Umwelt bemerkt wird, ist für ihn unvorstellbar. Betroffene würden darüber reden oder Körpersignale senden: "Dass das über Jahre nicht passiert ist, bei keinem einzigen Kind", ist für ihn ein Grund an den Darstellungen in dieser Form zu zweifeln.

ÖVP bremst bei Verjährungsfrist

Wie Ö1 berichtet, steht nun auch die Verjährungsfrist bei Kindesmissbrauch wieder im Kreuzfeuer der Kritik. BZÖ und FPÖ etwa fordern, dass auch lang zurückliegende Fälle noch vor Gericht gebracht werden können. Zudem soll die Verjährung von bereits vergangenen Fällen aufgehoben werden - das gelte auch für die nun bekannt gewordenen Vorwürfe am Wilhelminenberg.

Dem widersprechen SPÖ, ÖVP und Grüne, weil Gesetze gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht rückwirkend geändert werden dürften. Allerdings betont der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser, dass es eine rasche Diskussion darüber geben müsse, die Verjährung für künftige Fälle von Kindesmissbrauch zu verlängern oder abzuschaffen. Unterstützung bekommt Steinhauser von seinem roten Amtskollegen Hannes Jarolim: Missbrauchte Personen würden erst nach zehn bis zwanzig Jahren darüber reden können, so der SP-Justizsprecher.

Kritisch hat sich hingegen ÖVP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer zu einer Änderung bei der Verjährung geäußert. Er sei gegen eine völlige Abschaffung, denn nach vielen Jahren und Jahrzehnten sei es sehr schwierig, eine wirklich objektive Aufklärung zu gewährleisten. Donnerbauer wolle sich zuerst anschauen, wie sich jene Gesetzesverschärfungen bei der Verjährung auswirken, die vor zwei Jahren gemacht wurden.

Seit 1. Jänner 2010 ist bei Kindesmissbrauch folgende Regelung in Kraft: Bei vergewaltigten minderjährigen Opfern ist eine Verjährung bis zur Vollendung ihres 28. Lebensjahres zunächst kein Thema. Bei Erreichen dieser Altersgrenze haben sie dann zehn Jahre, in besonders gravierenden Fällen sogar 20 Jahre Zeit, um gegen den Täter mittels einer Anzeige strafrechtlich vorzugehen und diesen vor Gericht zu bringen. (red/APA)