Die Slow-Food- Bewegung, die auch EU-Förderungen bekommt, ist gegen anonymes Agrobusiness und für lokales Wirtschaften: Generalsekretär Paolo di Croce.

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Wien - Paolo di Croce, Generalsekretär von Slow Food International, schüttelt angesichts der EU-Agrarförderpolitik den Kopf: "Je größer, desto mehr Förderung gibt es", sagt er. "Das ist der falsche Weg."

Für den Italiener hat die jahrzehntelange GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) der EU zu vielen falschen Entwicklungen geführt: 250 Millionen Menschen (von einer Bevölkerung von fast 500 Millionen) in der EU sind übergewichtig. Schnelle, unbedachte und ungesunde Ernährung nimmt zu, Krankheiten, die mit falscher Ernährungsweise zu tun haben, ebenfalls. Industrielle Monokulturen bedrohen Ökosysteme und biologische Vielfalt. Gleichzeitig werden enorme Mengen essbarer Lebensmittel weggeworfen. "Der möglichst billige Preis steht im Zentrum der Überlegungen, wie die EU-Gelder verteilt werden. Aber wir zahlen einen hohen Preis für diese Billigstrategie."

Die Vertreter der Slow-Food-Bewegung, die vergangenes Wochenende ihre Messe "Terra Madre" zum zweiten Mal in Wien abhielt, schlägt anderes vor. Produzenten und Konsumenten sollten sich näherkommen, die GAP sollte darauf ausgerichtet werden, dass kleine und mittlere Agrarbetriebe nachhaltig Produkte hoher Qualität herstellen.

Jobmaschine Landwirtschaft

Eine solche Landwirtschaft "mit Würde" hätte automatisch mehr Zulauf, meint di Croce. "Die Entscheidung für den Beruf des Bauern könnte für junge Menschen wieder eine reizvolle Option darstellen." Angesichts der hohen Raten von Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere im Süden Europas, sollte der sowieso anstehende Strukturwandel in der Landwirtschaft besonders unterstützt werden. Nur sieben Prozent der EU-Bauern sind jünger als 35 Jahre alt; 20 Prozent sind älter als 65 Jahre. "Die Landwirtschaft gehört verjüngt", fordert er. Ob die fünf Prozent des nächsten EU-Budgets, die für einen Strukturwandel und eine Verjüngung in der EU-Landwirtschaft vorgesehen sind, für einen solchen weitreichenden Imagewandel reichen werden, bezweifelt er.

Dem EU-Konsumenten müsse bewusst werden, wie sehr sein Konsumverhalten in Zusammenspiel mit den EU-Agrarsubventionen auf andere, ärmere Märkte wirkt. Um die Fleischfabriken in der EU am Laufen zu halten, sind Unmengen an Importen von Sojabohnen notwendig, die meisten davon genetisch verändert. Weniger Fleischkonsum, maximal dreimal in der Woche, würde das Problem entschärfen, meint er. Es sei unmoralisch, wenn in den ärmsten Ländern, wo die Bevölkerung oft von Hunger bedroht ist, die Bauern dazu angehalten würden, Getreide oder Soja für den Export anzubauen, damit es in der EU an Nutztiere für den überbordenden Fleischkonsum verfüttert werden könne. Zurücknehmen müsse sich die EU auch bei Agrarexporten, obwohl durch die Reformen der letzten Jahre (bei Zucker, Weizen) die systematische Überschussproduktion zurückgefahren wurde. Doch komme noch immer genug EU-Ware in den Export. So verdränge billiger, mit EU-Agrargeldern "gedumpter" Reis, etwa aus Italien, die armen Reisbauern aus lokalen Märkten in Afrika. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 18.10.2011)