Politologin Sieglinde Rosenberger.

Foto: Hendrich/STANDARD
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Die Politologin Sieglinde Rosenberger erläutert Josef Kirchengast die Auffälligkeiten der Österreicher.

STANDARD: Sie sprechen von einer bröckelnden Unterstützung für die Demokratie in Österreich. Ist da etwas im Gange, das die Demokratie tatsächlich gefährden kann?

Rosenberger: In allen westeuropäischen Staaten, auch in Österreich, gibt es eine kontinuierlich sehr hohe Zustimmung zum demokratischen System. Was aber massiv erodiert, und in Österreich in den letzten zehn Jahren deutlich mehr als anderswo, ist die positive Bewertung der demokratischen Funktionsweisen sowie der Leistungen der Demokratie. Immer mehr Menschen erfahren Demokratie als entscheidungsschwach und verlieren das Vertrauen in demokratische Einrichtungen.

STANDARD: Welche Institutionen in Österreich verlieren das meiste Vertrauen, welche am wenigsten?

Rosenberger: Das Vertrauen in demokratische Einrichtungen – Parteien, Parlamente, Regierungen – sinkt rasant. Grob gesagt: das Vertrauen in Institutionen, die nicht gewählt werden, etwa Polizei, Militär, Justiz, ist klar größer als in jene, die sich einer Wahl stellen.

STANDARD: Eine gewisse Sehnsucht nach einem autoritären System?

Rosenberger: Das wäre eine Überinterpretation. Wohl aber nutzen politische Kräfte, die weniger an demokratischen Werten und Prinzipien orientiert sind, diese neuen Klüfte. In Österreich ist eine deutlich steigende Zustimmung zum "Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss" zu verzeichnen.

STANDARD: Die größten Veränderungen in Österreich fanden nicht in den 1990er-Jahren, sondern in der letzten Beobachtungsphase, 1999 bis 2008, statt.

Rosenberger: Ja: Nicht vor dem Wechsel zur ÖVP-FPÖ-Regierung, sondern nach diesem sind die gravierenden Einstellungsänderungen zu beobachten.

STANDARD: Mit dem Regierungseintritt der FPÖ sind deren Positionen also quasi hoffähig geworden.

Rosenberger: Auch in anderen Ländern existieren Parteien, die populistisch, EU-kritisch, stark migrationsablehnend agieren. Trotzdem sind dort die negative Haltung zu Zugewanderten und die Betonung des Ethno-Nationalen moderater ausgeprägt. Die FPÖ-Regierungsbeteiligung dürfte die nationalistischen Einstellungsbündel begünstigt haben. Für wichtig halte ich aber auch, dass in anderen Ländern, vor allem in skandinavischen, daneben ein an Liberalität und Toleranz orientierter Diskurs geführt wird.

STANDARD: Wo fällt Österreich besonders aus dem Rahmen?

Rosenberger: In der Haltung zu ethnischen Minderheiten, MigrantInnen und sogenannten Randgruppen nimmt Österreich stets die Spitzenposition in der Ablehnung ein. (Siehe Grafik: "Antipathie-Index" links, Anm.) Die im Vergleich hohe Zurückweisung von als anders wahrgenommenen Menschen ist absolut auffällig.

STANDARD: Hängt Österreichs Spitzenposition in der Ablehnung der EU-Erweiterung (Platz drei, siehe Tabelle, Anm.) damit zusammen?

Rosenberger: Diskursiv werden zunehmend die beiden Themen Zuwanderung und EU-Erweiterung in ablehnender Weise miteinander verbunden. In Österreich dürfte dies auch mit der problematischen Herausbildung nationaler Identität zusammenhängen. Im Zuge von Europäisierung, Globalisierung und Krisen gewinnt der Rückgriff auf ethno-nationale Gefühle abermals an Bedeutung. (Das Gespräch führte Josef Kirchengast, STANDARD-Printausgabe, 18.10.2011)