Wettbewerb belebt den Markt und in jedem Fall ist er gut für den Konsumenten. Im dicht gedrängten Segment der Videospiele gibt es dafür unzählige Beispiele. Vor allem Fußball-Fans dürfen sich jährlich über die Befindlichkeit des neuen "FIFA" und "PES" die Köpfe einschlagen. Die Konkurrenz bei Rennspielen trifft zwar nicht so häufig aufeinander, das Rennen zwischen den führenden Simulations-Games "Gran Turismo" und "Forza Motorsport" hat dafür andere Besonderheiten. Denn beide Werke sind jeweils nur auf einer Plattform - PlayStation oder Xbox - zu haben und repräsentieren so als exklusive Vorzeigewerke stets auch ihre "Heimkonsole". Sowohl Sony als auch Microsoft fordern von ihren Entwicklern daher nie weniger als Exzellenz.
Aus dem Schatten hervorgetreten
Nachdem die Xbox die jüngste Plattform ist, kann "Forza" inspiriert vom Millionenerfolg GTs unverblümt als Nachahmungswerk bezeichnet werden. Doch spätestens seit dem dritten Teil (2009) ist die Serie aus dem großen Schatten ihres spirituellen Vorbilds herausgedüst. Mit dem Ende 2010 erschienen "Gran Turismo 5" und kürzlich gestarteten "Forza Motorsport 4" stehen einander ebenbürtige Rivalen gegenüber. Die alles entscheidende Frage ist also: Welcher Titel ist besser? Nach dem letztjährigen "GT5"-Marathontest steht deshalb nun eine ausführliche Probefahrt mit "Forza 4" an.
Generalüberholung oder überschauberes Update?
Nur zwei Jahre haben sich die Entwickler von Turn10 Zeit genommen, um einen Nachfolger zu bauen. Ins Auge gefasst wurden die Überarbeitung der Fahrphysik und der Optik, die Ausweitung des Mehrspielermodus und die Integration neuer Inhalte sowie neuer Features. Prominentes Beispiel ist die Einbettung der Sensorsteuerung Kinect.
Für Spieler des noch frischen Vorgängers mag das zunächst wie eine kleine Enttäuschung klingen. Schließlich wurden mit der Umsetzung realer Parcours wie dem Hockenheimring, Indianapolis Motor Speedway und dem Infineon Raceway sowie der bildschönen Fantasiestrecke "Bernese Alps" lediglich vier neue Rennpisten hinzugefügt. Die von GT5 bekannte Kooperation mit der Autoshow "Top Gear" wurde ebenso an Land gezogen, was einem einerseits die "Teststrecke" und andererseits die ikonische Stimme von Jeremy Clarkson beschert. Letzterer sinniert im "Autovista" getauften Autoschau-Modus über extrem detailreich nachgebaute Supercars - leider haben es nur 24 in den Vehikelporno geschafft.
Zugänglich und aufbrausend
Unter der Haube schraubten die Entwickler ebenfalls weiter und verfeinerten das für seine Zugänglichkeit bekannte Fahrgefühl der Serie für ambitionierte Hobby-Vettels. Damit kommt ein sehr breites Spektrum von Konsolenrennsportlern auf seine Kosten - der ambitionierte Nachwuchs ebenso wie der Sonntagsfahrer. Es ist definitiv ein Konzept, das die Masse anspricht und weniger auf fanatische Benzinbrüder abzielt. In einem Podcast des britischen Magazins Eurogamer brachte ein Tester den fahrtechnischen Unterschied zwischen GT5 und Forza 4 auf den Punkt: Fährt man die berühmt berüchtigte Nordschleife in GT5 mit einem SLS AMG oder ähnlich kräftigen Rennwagen, muss man in jeder Kurve darum zittern, die Kontrolle zu behalten. Frei von Hilfen wird man hier mit der beinharten Realität des wenig verzeihenden Motorsports konfrontiert. Forza 4 ahmt in vieler Hinsicht diesen Grad an Realismus nach, hält aber in brenzligen Situationen zumeist ein Sicherheitsnetz bereit, um Frustmomente zu verhindern.
Jedem gefallen werden hingegen die kräftigeren Motorengeräusche der rund 500 Boliden und die Erweiterung des Fahrerfeldes auf 16 Teilnehmer. Das Können der künstlichen Intelligenz wurde dementsprechend hochskaliert. Computergesteuerte Gegner geben sich recht aggressiv beim Ausnützen eigener Fahrfehler und stoßen in Lücken, sobald sie sich öffnen. Gleichzeitig lassen sie sich schon einmal zu Missgeschicken provozieren und landen selbst im Grünstreifen. Erfahrung sammelt man am besten in den Bewerben der Kampagne "World Tour". Leblos präsentiert, erringt man hier neue Gefährte, lernt das intuitive Tuningsystem kennen und überdenkt nach Unfällen seine Fahrweise.
Kein Vorstoß ins Unwetter
Rabiate Manöver haben tatsächlich Konsequenzen: Autos nehmen Schaden, Reifen verschleißen und sogar Benzin wird knapper. Beide letztgenannten Eigenschaften werden vom Spiel allerdings kaum zur Geltung gebracht. Die Rennen sind schlichtweg zu kurz, um mit abgefahrenem Gummi oder leeren Tanks kämpfen zu müssen. Überhaupt macht Forza 4 einen auf Nummer sicher. Zwar werden Faktoren wie die Streckentemperatur einbezogen, Rennen bei Nacht, im Regen oder irgendwie abseits von holdem Sonnenschein gibt es nicht. Auch ist man den Fahrzeugtypen treu geblieben und hat frische Bewerbe wie Rally oder Formel 1 nicht berücksichtigt. Das sei an dieser Stelle nicht falsch zu verstehen: Unter den 500 Boliden befinden sich mitunter die feinsten automobilen Schöpfungen, echte Exoten oder Prototypen werden allerdings schwer vermisst. Ein Novum ist hingegen die Kinect-Integration - die absolut optional ist. Damit lassen sich Schaufensterstücke in Autovista mit Gesten erkunden und der Sensor lässt sich zum Headtracking nutzen. Dadurch schwenkt die Kamera in der Cockpitperspektive mit der Neigung des Kopfes mit, womit sich Kurven besser einsehen lassen. Es ist sogar möglich, dank Sensorerfassung komplett freihändig zu fahren - ohne Lenkrad in der Hand muss man dann nicht einmal mehr Gas geben oder bremsen... Es sind solide bis kuriose Einbindungen des Systems, der "better with Kinect"-Hinweis auf der Verpackung lässt allerdings mehr erhoffen.
Schöner als echt
Der frische Anstrich macht sich insbesondere beim neuen Streckenhighlight "Bernese Alps" bemerkbar. Der Stil von Forza 4 ist clean, jedoch beweisen die Designer, dass sie ein Auge für Ästhetik haben. Der Einfallswinkel der Sonne, glitzernde Spiegelungen - es geht darum, die Kunstwerke auf vier Rädern besser als in echt aussehen zu lassen. Den realistischeren Look und die Faszination der Jahres- und Tageszeiten beansprucht Polyphonys Schöpfung für sich. Die Fahrzeugmodelle selbst wurden aufwändig nachgebaut. Nicht so perfekt wie die Premium-Modelle in GT5, allerdings um Klassen besser als dessen hunderte Standard-Autos. Turn10 bietet nur ein halb so großes, dafür homogenes Feld. Optischen Schaden gibt es übrigens bei jedem der Boliden - hier "glänzen" aber beide Rivalen nicht. Genrevertreter wie "DiRT 3" oder "NFS: Shift 2" beeindrucken - wenngleich in einem deutlich kleineren Rahmen - in diesem Segment weitaus mehr.
Große Stärke: Multiplayer
Die größte Stärke von Forza 4 ist die Umsetzung des Mehrspielererlebnisses rund um ein starkes Community-Geflecht. Das fängt bei der Basis von Rennen gegen bis zu 15 Mitspieler an, geht über ein unkompliziertes Matchmaking-System, übersichltiche Ranglisten bis hin zum individuellen Gestalten und bereitstellen von Autolackierungen. Erstellt man einen Car Club, darf man zusammen mit anderen Spielern im Team an gemeinsamen Zielen arbeiten und dafür Tuning-Settings genauso wie Fahrzeuge miteinander tauschen. Von Need for Speeds Autolog inspiriert kann man Freunde nun mit Herausforderungen bedienen und sich direkt miteinander matchen. Während man in GT5 den Eindruck hat, in der Menüwüste selbst den Durchblick gewinnen zu müssen, macht Forza 4 es einem leicht, menschlichen Kontrahenten zu begegnen. Seine verspieltere Ader zeigt der US-Racer des weiteren mit Mehrspielermodi wie Fangenspielen und Autofußball. Ob des ansonsten straighten Charakters vielleicht ein deplatziert wirkender, aber abwechslungsreicher Zeitvertreib.
Fazit
Turn10 hat die vergangenen zwei Jahre genutzt, um die Stärken seiner Rennspielserie aufzupolieren. "Forza Motorsport 4" ist nicht das mutige Update, das man sich vielleicht erwartet hätte. Wettereffekte, Tag/Nacht-Wechsel fehlen nach wie vor und auch das Streckenportfolio wurde nur spärlich erweitert. Die Einbindung von Top Gear verleiht dem Autozirkus mehr Seele und das Mehrspielerangebot ist schlicht hervorragend.
Und zur Frage ob Forza 4 oder GT5 besser ist: Keines von beiden. Wer das kompaktere, besser aufbereitete Rennspiel zur Ausfuhr von Supercars - wer das bessere Spiel will - greift zu Forza 4. GT5 ist mit seiner Detailverliebtheit, seiner "Überfülle" von Autos und Bewerben, aber chaotischen Menüs und stetig nachgeflickten Communitysystemen und absurden Standard-Cars dagegen mehr das wahnsinnige Genie, aber mit dem authentischeren Fahrgefühl die bessere Simulation. (Zsolt Wilhem, derStandard.at, 18.10.2011)
Forza Motorsport 4 (Turn10/Microsoft) ist für Xbox 360 erschienen. Sagen Sie uns Ihre Meinung!