Pavlovsky: "Wir erkaufen uns die Loyalität der Kader, wir können die Erfüllung von Befehlen nicht anders durchsetzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo das Geld dafür schön langsam ausgeht."

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Fast schon imperiale Macht: Wladimir Putin auf dem Parteitag von Geeinigtes Russland am 24. September, als seine künftige Präsidentschaft angekündigt wurde.

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Dieses Bild aus dem Jahr 2007 zeigt einen kraftstrotzenden Wladimir Putin an den Ufern des Khemchik in Südsibirien.

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2006 posierte Putin gar mit einer Schusswaffe - in einem Schießstand.

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Der Zaudernde: Präsident Medwedew.

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"Putins Antreten ist zu riskant, er wirkt wie ein Exzentriker, den niemand absichert", sagt der russische PR-Zampano Gleb Pavlovsky, der derzeit in Wien weilt. "Der 60-Jährige muss es wissen, gilt er doch als Schöpfer des "Tandem"-Konstrukts an der Spitze Russlands und bezeichnet sich als "Architekt der putinschen Mehrheit", die dem früheren und künftigen Präsidenten die beinahe absolute Macht im Riesenreich zwischen Ostsee und China beschert. Am Montag sprach er bei einer Podiumsdiskussion des Renner Instituts in Zusammenarbeit mit dem EU-Russland-Thinktanks Iceur. Danach bat ihn derStandard.at zum Gespräch.

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derStandard.at: Der typische russische Wähler ist eine Frau über vierzig, Ministerpräsident Wladimir W. Putin geriert sich als Macho, reitet durch die Steppe, jagt Bären und taucht antike Vasen vom Meeresgrund. Waren das alles Ihre Ideen?

Gleb Pavlovsky: Putin ist tatsächlich sportlich, aber besonders am Anfang war es wichtig, sein im Vergleich zu Jelzin jugendliches Alter und seine Gesundheit zu demonstrieren. Ich glaube, dass das heute im Wahlkampf keine Rolle mehr spielt. Bei den ersten Wahlkämpfen 1998 bis 2000, also vor über zehn Jahren, haben wir Putin empfohlen, dass er seine Kraft, seine Jugend und seine Härte darstellen soll, was im Übrigen auch von Jelzin selbst gefördert wurde. Danach wurde es Putin zur Gewohnheit, so aufzutreten. Er will wohl auch jünger aussehen, als er ist, das ist auch eine Alterserscheinung. Diese Eskapaden werden ihm heute aber nachgesehen, auch wenn sie inzwischen als Schwäche aufgefasst werden. Die Sache mit den Vasen war aber nicht mehr meine Idee, da war ich nicht mehr Berater.

derStandard.at: Sie haben sowohl Putin als auch den amtierenden Präsidenten Dmitri A. Medwedew in Image- und Wahlkampffragen beraten, was fanden Sie spannender?

Pavlovsky: Das Image ist zwar wichtig, spielt aber keine herausragende Rolle in der russischen Politik. Wichtig ist das politische Angebot, das der Politiker der Wählerschaft unterbreitet. In Russland wird dieses Angebot aber nicht in Worte gefasst, ist also kein Programm, sondern etwas anderes. Es ist etwas, was die Wählerschaft selbst errät. Sowohl die eher linksgerichteten als auch die eher rechtsgerichteten Wähler können etwas aus dem Angebot Putins herausholen. Putin hat auch immer sehr schnell gelernt, wahrscheinlich wäre er selbst der beste PR-Berater. Er hat ein sehr gutes Gespür für die Wählerschaft.

derStandard.at: Das Ergebnis der anstehenden Wahlen steht doch de facto fest, wozu braucht Putin überhaupt Berater?

Pavlovsky: Die Wahlen in Russland sind erst seit 2004 berechenbar, vorher war das nicht der Fall. Der Sieg von Putin bei den Wahlen 2000 war ein Wunder, wir waren nicht sicher, ob wir das wieder hinbekommen würden. Seine Gegner waren eigentlich stärker als Putin, sowohl Primakow als auch Luschkow. Seit diesem Wahlkampf ist die Popularität Putins auf das 15-fache gestiegen, er hatte zuerst drei Prozent, dann waren es 43 Prozent. Und dann ist das System Putin entstanden und innerhalb dieses Systems auch die Berechenbarkeit. Aber das beruhte bereits auf einer bestimmten Art von Sozialpolitik, die heute aber leider zu sehr von den Weltmärkten abhängt. Die Schwankungen der Weltkonjunktur haben dazu geführt, dass alleine in diesem Jahr über eine Million armer Menschen dazu gekommen sind. Das beweist, dass der Versicherungsstaat Putins doch eine sehr risikobehaftete Sache ist und das Rating dieser Versicherung abgesunken ist. Es geht also nicht um die Wahlen, sondern um die Politik.

derStandard.at: In Moskau wird derzeit von einer "Breschnewisierung" Putins gesprochen, in der "Kaderstabilität" suggeriert wird. Damals führte das binnen zweier Jahrzehnte zu Überalterung und Reformunfähigkeit innerhalb der Eliten. Wir schreiben jetzt Jahr zwölf der Ära Putin. Wie will Putin dem Schicksal Breschnews entgehen?

Pavlovsky: Diese Gefahr sehe ich nicht. Der sowjetische Staat war weit solider und gefestigter als der russische Staat von heute. Breschnew hat gedankenlos diese Ressource an solidem Staat vergeudet. Unser Staat heute ist hingegen eine Filiale des Weltmarktes, was uns nicht erlaubt, zehn Jahre lang inkompetentes Personal durchzufüttern. Das heißt die Kader selbst sprechen von der Kaderstabilität, nicht Putin. Medwedew, der ja de facto für Putin spricht, redet von einer Säuberung der Kader. Putin kann sich leisten, zu dieser Frage zu schweigen, wenn Medwedew all die negativen Reaktionen der Nomenklatura auf sich nimmt. Von einer Machtvertikale zu sprechen entspricht nicht der administrativen Realität.

derStandard.at: Was heißt das konkret?

Pavlovsky: Wir erkaufen uns die Loyalität der Kader, wir können die Erfüllung von Befehlen nicht anders durchsetzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo das Geld dafür schön langsam ausgeht. Medwedew und Putin suchen derzeit eine andere finanzielle Grundlage für die Staatsgewalt. Immer mehr Menschen stehen heutzutage der Staatsgewalt nahe, die die russischen Reserven ausgeben wollen. Für eine Breschnewisierung haben wir gar kein Geld mehr.

derStandard.at: War es nicht schon von Anfang an völlig klar, dass Putin wieder die Macht übernehmen wird?

Pavlovsky: Es gibt sehr viele Grautöne zwischen völlig klar und völlig ungewiss. Beide wollten Präsident werden, Medwedew hat im Konflikt der Charaktere verloren. Seine Elite hat vor einem Jahr begonnen, ihn als künftigen Präsidenten anzuerkennen. Sein Rating war sehr nahe an Putin dran, wenn Medwedew nun sagt, Putin sei weit populärer als er, entspricht das nicht der Wahrheit. Medwedew mangelt es viel mehr an Härte, er konnte sich nicht entschließen, seine Linie als alternatives politisches Programm anzubieten. Er fühlt sich besser, wenn er die zweite Rolle spielt. Er hat Kudrin (ehemaliger Finanzminister, Anm.) so leichtfertig entlassen, das hätte er vor zwei Monaten (vor der Rochade, Anm.) nicht so einfach machen können. Ich stelle mir das so vor: als sich Putin diese Szene live im Fernsehen angesehen hat, hat er sich wahrscheinlich gedacht, Medwedew hat sich an Kudrins Stelle ihn vorgestellt.

derStandard.at: Am Parteikongress von Geeintes Russland sprach Putin von einer neuen, jungen Regierungsmannschaft, die aus den Wahlen im November hervorgehen soll. Schlägt dann doch noch die Stunde Medwedews?

Pavlovsky: Davon bin ich nicht überzeugt. Medwedew schlägt de facto ein anderes Tandem-Modell vor, er möchte Jegor Gaidar (1956-2009, wirtschaftsliberaler Vizepremier unter Jelzin, Anm.) ähnlich sein. So viel Spielraum wird ihm Putin aber nicht geben. Nicht, weil er ihm das nicht gönnt, sondern weil Putins Regierungsstil damit nicht kompatibel ist.

derStandard.at: Inwiefern?

Pavlovsky: Um wirklich eine wichtige Rolle in der Regierung zu spielen, müsste Medwedew im Zentrum aller Abmachungen stehen. Dort steht aber nicht er, sondern Putin. Entweder lässt man Medwedew die Freiheit, die Regierung nach seinen Wünschen zu bilden. Aber dann hätten diese womöglich neuen, jungen Leute nicht sehr viel zu sagen und würden auf das Fax aus dem Kreml warten. Oder Putin lässt das gar nicht erst zu.

derStandard.at: In den vier Medwedew-Jahren ist die russische Zivilgesellschaft aufgewacht, Blogs, Soziale Netzwerke blühen. Putin war Ende der 80er als KGB-Agent in der DDR, wo Kritik der Zivilgesellschaft am Regime abgeprallt ist. Hat er daraus gelernt?

Pavlovsky: Putin ist wohl der lernfähigste Politiker in Russland, er hat einen sehr regen Intellekt und verfolgt ganz genau den gesamten Manöverspielraum. Ich wurde in meinem Leben schon von dutzenden KGB-Männern vernommen, Putin ähnelt keinem einzigen. Die allermeisten Führungspersönlichkeiten der Zivilgesellschaft sind aber schon während Putins Präsidentschaft entstanden. Eine andere Sache ist aber, dass Putin sie nicht ernst nimmt. Seine Ansicht nach reden diese Leute zwar viel, wissen aber nicht, wie das Land in Wahrheit gestaltet wird.

Die Erfahrungen Putins in der DDR sind nur in einer Hinsicht für heute wichtig: er weiß, dass die Bürokratie unzuverlässig ist. Ändert sich der Wind, oder besser: die Konjunktur, dann ändert sich auch die Bürokratie. Darum manövriert er immer. Er ist ein Freund der Großunternehmer und vieler europäischer Führungspersönlichkeiten. Putin ist ein echter Vertreter der Postmoderne, nichts ist für ihn unmöglich, wenn es für die Sache von Vorteil ist.

derStandard.at: Putin, der auch Ihr Produkt ist, könnte nun bis 2024 durchregieren. Wird er als großer Reformer oder als Garant der Stagnation in die Annalen eingehen?

Pavlovsky: Meiner Ansicht nach hat er auf die Möglichkeit verzichtet, als großer Führer in die russische Geschichte einzugehen, indem er heuer die Spielregeln verändert hat. Aus der Sicht des putinschen Systems, zu dessen Architekten ich gehöre, ist seine Kandidatur nächstes Jahr ein Fehler. Es ist einfach zu riskant, fast schon ein Glücksspiel. Putin agiert wie jemand, der alle Wetten gewonnen hat und dann sagt, "bringt uns etwas zu trinken, wir spielen weiter." Das wird immer zum Nachteil gereichen. Putin hat immer sehr gut die Bedrohungen erkannt, bei den Risiken hat er sich immer schon schwer gefunden. Das Establishment war für Medwedew als neuen Präsidenten bereit und hat darauf gebaut, dass Putin ihn absichert. Nun kommt es umgekehrt und Putin wirkt wie ein Exzentriker, den niemand absichert. Dafür bräuchte es einen Super-Putin, und den gibt es nicht.

derStandard.at: Wie würden Sie Putins Wahlkampf gestalten?

Pavlovsky: Das wäre zu einfach, dafür dürfte man gar kein Geld verlangen (lacht). Putin muss nur auf die Bühne gehen uns sagen: "Hier bin ich, sonst ist keiner mehr da und ich kann auch gehen. Aber wer soll Euch dann die Pensionen auszahlen?". Das reicht schon für die Mehrheit. Putin muss nicht mehr irgendwelche Amphoren aus dem Meer holen, um gewählt zu werden. (flon/derStandard.at, 19.10.2011)