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In Tunesien protestierten in den letzten Tagen vor den Wahlen Tausende gegen die islamistischen Hardliner. Insbesondere die Frauen treten selbstbewusst für Demokratie und Erneuerung ein.

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Frauen, die das "neue" Tunesien prägen: Marwa Rekik...

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...Nejiba Bakhtri....

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und Maya Jribi.

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"Ich heulte nicht. Ich schaute dem Polizisten einfach in die Augen", erinnert sich Marwa Rekik an den Tag, als sie in Tunis zusammengeschlagen und an den Haaren hunderte Meter bis zu einem Mannschaftswagen gezerrt wurde. Blutüberströmt saß die Reporterin des oppositionellen Internetradios Kalima da, ein Polizist schleuderte ihr wüste Worte entgegen. "Er wollte wissen, warum ich für Kalima berichte", erzählt sie. "Weil ich Tunesien liebe, weil mein Tunesien lebt und eures tot ist." Schließlich wurde sie freigelassen, die Platzwunde am Kopf musste genäht werden.

Das war im Mai - ganze vier Monate nach dem Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali. "Es war das einzige Mal, dass ich von der Polizei so attackiert wurde", erinnert sich die 25-Jährige.

Marwa Rekik gehört zu der Generation, die fast ihr ganzes Leben unter der Diktatur von Ben Ali verbrachte. Und sie gehört zu denen, die seiner Herrschaft nach 23 Jahren, am 14. Jänner 2011, ein Ende bereitete. "Ich habe schon auf dem Gymnasium meinen Respekt vor der Diktatur verloren. Ich machte beim Schulradio mit und wurde schließlich Chefredakteurin", erzählt sie aus ihrer Zeit in Sfax, der zweitgrößten Stadt Tunesiens.

Während des Studiums in Tunis hatte Rekik dann Kontakt zur oppositionellen Studentengewerkschaft UGET, trat vorübergehend der geduldeten, oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) bei und lernte die Bürgerrechtlerin Sihem Bensidrine kennen. Sie begann als Reporterin in deren Internetradio Kalima, machte dann aber vor allem Dokumentarfilme.

Im Jänner 2011, mitten in Dreharbeiten, begannen die Demonstrationen gegen Ben Ali auch in Tunis. Rekik heuerte wieder bei Radio Kalima an. Mittlerweile hat sie dort ein eigenes Programm. In die Parteipolitik will sie sich nicht einmischen. Sie sieht ihren Ort weiterhin in der Zivilgesellschaft. "Im Radio kann ich so frei reden wie sonst nirgendwo. "

"Es sind Frauen wie Marwa, die dieses Land so besonders machen", meint Nejiba Bakhtri. Die 62-Jährige ist seit Jahren in der Gewerkschaft UGTT aktiv. "Als Frau musst du ständig gegen den Machismo ankämpfen. Doch wir tunesischen Frauen sind stark und dominant." Bakhtri gehört zu der Generation, die ab 1956 im unabhängigen Tunesien aufgewachsen ist. "Wir waren die erste Generation von Frauen, die freien Zugang zu Schulen und Universitäten hatte. Aber wir brauchen noch mindestens zwei Generationen, bis die Frau tatsächlich gleichgestellt ist."

Bei den Wahlen am Sonntag sind die Parteien per Gesetz angehalten, paritätische Listen aufzustellen - doch Bakhtri hat Angst, es könne werden wie früher. Der Grund ist der große Zulauf für die islamistische Partei Ennahda. Zwar redet sie von Gleichstellung und Toleranz, doch Bakhtri befürchtet, dies sei "nur ein doppelter Diskurs, um Stimmen zu gewinnen". "Selbst in meinen Kreisen sind alle für Gleichberechtigung, aber mit der Realität hat dies nur wenig zu tun", sagt die Gewerkschafterin. "Doch wir sind wachsam, wir werden dagegenhalten."

"Die Islamisten sagen immer wieder, dass das Gesetz, das die Frau gleichstellt, nicht heilig sei", berichtet Maya Jribi, Generalsekretärin der PDP, jener Partei, die Rekik und Bakhtri früher als Freiraum diente. "Das stimmt zwar, aber wir werden es nicht zulassen, dass es geändert wird." Sie ist die einzige Parteichefin in Tunesien.

Jribi ist zuversichtlich: "Wer sich umschaut, sieht: Wir leben in der Ära der Frau. Nicht nur in Tunesien, auch in anderen Ländern spielt die Frau bei den Protesten eine wichtige Rolle. Selbst im Jemen. Dort sind sie alle verschleiert, aber sie gehen zahlreich auf die Straße", sagt die 51-Jährige.

Dass die Männer auch in ihrer Partei immer noch mehrheitlich die wichtigen Ämter besetzen, ist für Jribi "normal". "Das ist die Realität. Die Diktatur hat alle unterdrückt, und die Frauen noch mehr. Die Frau steht in der Politik Tunesiens mehrheitlich an zweiter Stelle, aber das ist nicht nur in der arabischen Welt so", gibt die zu bedenken. (Reiner Wandler/ DER STANDARD Printausgabe, 19.10.2011)