Wilhelm Rasinger einmal nicht bei einer Hauptversammlung. In der Blauen Bar stand das Weltgeschehen im Mittelpunkt.

Foto: Standard/Matthias Cremer

Anlegervertreter Wilhelm Rasinger hat Verständnis für die Bewegung "occupy wallstreet". Denn: "Der Unzufriedenheit muss Ausdruck verliehen werden." Für Griechenland schlägt er eine geordnete Zäsur vor.

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In Wilhelm Rasingers Brust wohnen mehrere Seelen. Dass sich die Bewegung "occupy wallstreet" ausdehnt und auch in Österreich zu Kundgebungen geführt hat, ist für den Anlegervertreter wichtig und verständlich. Der globale Aufruf könnte verhindern, dass Fehlentwicklungen der Vergangenheit einfach weiterlaufen. "Es muss zu Veränderungen kommen. Dass Leute ihre allgemeine Unzufriedenheit ausdrücken, ist gut." Die Befürchtung sei aber, dass das mit radikalen Elementen untermauert werde und Anarchisten und Radikalisierer mit Zerstörung auf sich aufmerksam machen wollten.

In der Blauen Bar im Hotel Sacher geht es an diesem Abend also nicht um das Kerngeschäft von Rasinger - es geht um keine Einschätzung von Aktien, Unternehmen oder darum, was in die Irre geführte Anleger jetzt tun können. Es geht um die globale Situation, die bei Campari Orange und Wasabi-Nüssen besprochen wird.

Grundfragen des Lebens

"Wir müssen uns wieder auf die Grundfragen des Lebens zurückbesinnen", sagt Rasinger. Welchen Sinn und Zweck das Wirtschaften in einer demokratischen Gesellschaft hat. Jetzt würde die virtuelle Wirtschaft zu stark das Leben der Realwirtschaft dominieren und damit auch unser persönliches Leben. Da müsse man sich die Frage stellen, wer von dieser Entwicklung in unverhältnismäßig hohem Ausmaß profitiert hat. Weil: "In der Folge ist es in den vergangenen Jahren zu einem gigantischen Umverteilungsprozess gekommen. Weg vom Mittelstand, weg vom Bürger und hin zu einigen wenigen, die das Spiel am besten beherrschen und in der Lage sind, die Regeln für sich selbst zu machen."

In Summe hätten wir damit eine Situation geschaffen, die eher an Entwicklungsländer erinnere, etwa bei der Einkommens- und Vermögensverteilung. Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft sei das schlecht.

Die Artikulierung der Unzufriedenheit findet Rasinger auch deswegen gut, "weil es letztlich die Jugend ist, auf deren Rücken das ausgetragen wird". Die Jugend müsse sich oft vorwerfen lassen, dass sie sich für nichts interessiere, apolitisch sei und nur auf ihren Vorteil bedacht. "Das ist zu pauschal und ungerechtfertigt."

Der Konflikt der Jugend sei anders zu erklären: Diese sei in den letzten Jahren sehr behütet aufgewachsen - was materielle Dinge betrifft. Das führe dazu, dass die Jugendlichen nie eine wirkliche Not verspürt hätten. Wenn diese Kinder auch noch studieren und einen Job haben wollen, renne man ihnen plötzlich nicht mehr nach. "Man hofiert sie nicht, man rollt keinen roten Teppich mehr aus - egal, was sie alles gelernt und studiert haben", sagt Rasinger, der selbst Vater von zwei Kindern ist.

Das erste Mal, wenn es im Leben um etwas gehe, werde die Jugend auf sich allein gestellt. "Das ist frustrierend", denn nicht mal Praktikantenjobs seien heute noch leicht zu finden. Der Wohlstand habe natürlich auch zu einer Bequemlichkeit geführt, die man jetzt der Jugend pauschal vorwerfe.

Von der Politik wünscht sich Rasinger einen Ansatz, der nicht nur darin besteht, den Machterhalt zu organisieren. Immer wieder würden viele Ideen diskutiert, aber kaum etwas umgesetzt. Es sei besser, Entscheidungen zu treffen und diese im Notfall zu korrigieren, als die Dinge immer nur treiben zu lassen.

Im Finanzsektor wäre eine Finanztransaktionssteuer als Lenkungsmaßnahme sinnvoll. "Ich sehe nicht ein, dass, wenn man normale Waren mit 20 Prozent Umsatzsteuer besteuern kann, warum man das nicht auch für Finanzprodukte machen kann", sagt Rasinger. Privilegien über Jersey, Singapur, Zypern etc. gehörten stark eingedämmt.

Müde wird der Experte langsam, wenn es um das Thema Griechenland und den Euro gehe. Dass alle Schulden je zurückgezahlt werden, sei nicht wahrscheinlich. Vor allem müssten die dafür aufkommen, die die Schulden nicht gemacht haben - etwa die Jugend, die mit einem nicht unterschriebenen Generationenvertrag haftet. "Bis jetzt haben wir alle Probleme über das Zauberwort Wachstum erledigt. Damit sind wir jetzt an die Grenzen gestoßen." Eine geordnete Zäsur fände Rasinger daher besser. Aber: "Man fürchtet sich vor den Schmerzen und versucht daher, sich über die Probleme anders hinwegzuhelfen." (Bettina Pfluger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.10.2011)