Es finden sich wohl kaum NutzerInnen sozialer Netzwerke, die noch keine Erfahrung gesammelt haben mit Mafia-Ganoven oder dem Horten von Bauernhof-Viecherln. Die Meinungen darüber, ob Social Games wie Farmville oder Mafia Wars einen hohen Unterhaltungswert haben oder einfach nur Zeitverschwendung sind, sind gespalten. Jedenfalls wirft der Markt inzwischen schon eine Menge ab, vor allem für einen der Hauptakteure Zynga, der mit 28 Millionen aktiven Nutzern pro Monat - allein bei Farmville - das größte Kuchenstück verputzt. Das deutsche Entwicklerunternehmen Wooga rückt aber stetig nach, Magic Land verzeichnet bereits 1,8 Millionen aktive Spieler im Monat.
Anfang Dezember konnte das Startup beim Deutschen Entwicklerpreis einen der Publikumsawards einheimsen. "Tight Lines Fishing" hat die Kategorie "Social Games" für sich entschieden.
Konkurrenz aus Österreich
Zumindest ansatzweise Konkurrenz bekommt die US-Firma von der Wiener Social-Games-Entwicklerstätte Socialspiel, die Ende 2010/ Anfang 2011 ins Leben gerufen wurde. Mit dem WebStandard sprach ihr Gründer und Geschäftsführer Helmut Hutterer über die Kriterien eines erfolgreichen Social Games und die Trends in der Branche.
derStandard.at: Wie kam es zur Gründung von Socialspiel?
Helmut Hutterer: Ich war zuvor unter anderem bei GamesThatMatter, Deep Silver Vienna und Rockstar Vienna tätig. Gegen Ende 2010/ Anfang 2011 wollte ich mich umorientieren und es standen einige Optionen offen: Entweder ins Ausland gehen und dieselbe Schiene wie bisher zu fahren - nämlich große Konsolenproduktionen - oder aber etwas Neues anzureissen und da ich bereit für einen Tapetenwechsel war, habe ich mich einigen Leuten getroffen. Unter anderem mit Wolfgang aus unserem Team, mit dem ich dann mit einigen Ideen herumjongliert habe. Die Überlegungen waren: Soll das Projekt mehr in Richtung Indie gehen, welche Plattformen sind geeignet und in welchem budgetären Rahmen soll sich das Ganze bewegen?
derStandard.at: Das war zur Zeit, als der Boom von Social Games startete?
Hutterer: Ja, zu dem Zeitpunkt wurden Social Games extrem gehypt. Das hab ich länger verfolgt, aber eher im Hinblick darauf, die Spiele als Service zu betreiben, was ja generell für Online Games gilt. Nachdem ich dann einen Investor kennen gelernt habe, konnten wir Socialspiel realisieren. Prinzipiell ist der Unterschied zwischen Onlinegames und Konsolenspielen nicht so immens, bloß die einen sind eher eine Serviceleistung und die anderen kauft man im Geschäft.
derStandard.at: Wie sieht es mit der Monetarisierung aus?
Hutterer: Einerseits finanzieren wir uns durch den Erwerb virtueller Güter, die die Gamer ein paar Cent kosten. Andererseits gibt es auch eine Reihe so genannter "Whales", die in täglichen Transaktionen mehrere zig Euro ausgeben. Zusätzlich haben wir natürlich noch Investoren und setzen Werbeeinblendungen ein.
derStandard.at: Nach dem ersten Retro-esken Game "Push" haben Sie Ende September mit "Tight Lines Fishing" das zweite Spiel veröffentlicht. Worum geht es dabei und wie unterscheiden sich die Games?
Hutterer: Das neue Spiel ist ganz anders als unser erstes. Es geht in Richtung virtuelle Welt und casual Simulation, wie man sie von vielen typischen Social Games aus dem Farming- und Adventuring-Bereich kennt. "Push" war ein Spiel im Retro-Design und minimalistischen Spiel-Elementen, es ist an das Brettspiel Abalone angelehnt. Bei "Tight Lines Fishing" startest du mit deinem Avatar als eher unbeschriebenes (Angler)Blatt und das Ziel ist, zur großen Online-Fischerlegende zu werden. Es ist ein Abenteuerspiel, in dem es darum geht, die größten Fische zu fangen.
derStandard.at: Wie sind Sie auf das Thema Angeln gekommen?
Hutterer: Beim Brainstorming neuer Themen für unsere Spiele, sagen wir uns immer, es macht für uns keinen Sinn, in den Teichen der großen Fische zu fischen (lacht). Auf der Suche nach spannenden Genres mussten wir schauen, dass wir neues Terrain betreten. Angeln war zu dem Zeitpunkt noch ziemlich unbesetzt. Inzwischen ist es ziemlich beliebt.
derStandard.at: Worauf ist bei der Entwicklung von Social Games besonders zu achten?
Hutterer: Besonders wichtig ist die Identifikation bei Social Games, sprich ein Bezug zur Realität hat, wie eben Farmville und Cityville auch. Vor allem, wenn der Spieler mit seiner Figur im Spiel selbst seine Story schreibt. Es ist außerdem wichtig, dass sich auch Nongamer in die Charaktere hineinversetzen können, das ist beim Angler genauso möglich wie beim Bauer (Farmville) oder Bürgermeister (Cityville). Das Thema Angeln ist bereits populär bei Onlinegames, aber eher als kleines Feature nebenbei. Zudem spielt der Naturbezug eine große Rolle. Das Gefühl, dass man draußen in der Natur ist und dadurch einen angenehmen Ausgleich findet, darf nicht unterschätzt werden.
Es spielt sich auch auf einer emotionalen Ebene ab, die man nicht immer so gut greifen kann, also sind durchaus auch abstrakte Spiele denkbar. Bei casual oder Social Games ist es eine sehr gute Sache, wenn es dem Spieler leicht gemacht wird, sich mit der Geschichte zu identifizieren. Man hat bei Social Games ja nur wenig Zeit, dem Spieler die Regeln zu erklären.
derStandard.at: Was zeichnet ein gutes Social Games aus?
Hutterer: Erfolgreiche Social Games schaffen es, der Community - vor allem auch Nongamern - sehr schnell und sehr prägnant rüberzubringen, was das Spiel ausmacht und wie es sich "anfühlt". Social Games werden häufig zwischendurch gespielt und sind kostenlos. Der Zeitfaktor spielt eine große Rolle. Anders ist das natürlich, wenn man sich ein Spiel für 60 Euro kauft oder etwa zehn Euro für einen Kinobesuch ausgibt. Bei "free 2 play" also kostenlosen Games sind eine sehr hohe Qualität und ein einfacher Einstieg wichtig. Ein gutes Spiel zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass Erfolgserlebnisse und Belohnungen optimal eingeflochten sind.
derStandard.at: Wie ist das Feedback auf das Spiel bisher?
Hutterer: Bisher haben wir sehr positive Reaktionen bekommen. Im Gegensatz zu unserem ersten Spiel, das durch ein neutrales Design im Prinzip alle Geschmäcker trifft, haben wir bei "Tight Lines Fishing" mehr Wert auf den Charakter gelegt. Wir haben versucht, mehr Story und Humor ins Spiel zu packen. Das kommt sehr gut an. Kritik und negatives Feedback bekommen wir natürlich auch, aber alle Verbesserungsvorschläge wirken sich schließlich positiv auf die Entwicklung des Spiels aus.
derStandard.at: Ist es ein Trend, der sich bei Social Games abzeichnet: Ein ausgeklügelter Charakter und mehr Story?
Hutterer: Auf jeden Fall! Auf Facebook kann man beobachten, dass die Spiele immer komplexer werden und ein tieferes Spielerlebnis liefern.
derStandard.at: Welche Spiele spielen Sie selbst?
Hutterer: Ich spiele natürlich sehr viel, unter anderem "Cityville" oder "Magic Land" von Wooga und "League of Legends", das eher etwas für Hardcoregamer ist. Auch Spiele, die aus dem Indie-Sektor kommen, also kleinere Produktionen, interessieren mich sehr.
derStandard.at: Wie steht es mit der Entwicklung von Socialspiel-Games als Apps aus?
Hutterer: Noch haben wir keine mobilen Apps herausgebracht, aber wir überlegen noch, wie und wann das zu realisieren wäre. Es ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema und ein Trend, da Social Games auf mobilen Plattformen - insbesondere auf iOS - gut ankommen.
derStandard.at: Wie waren die Anfänge als Startup im Social Games Bereich?
Hutterer: Sicher eine Herausforderung war, herauszufinden, wie man mit Metriken und Analytics zu arbeiten. Das hat viel mit dem Service-Charakter der Social Games zu tun. Wir kommen alle aus der traditionellen Spiele-Entwicklung, wo das Projekt irgendwann fertig ist und man nichts mehr damit zu tun hat. Man ist auch weit weg von der Community, man lebt sozusagen wie in einer Blase. An Social Games tüftelt man stets weiter und hat viel mehr Kontakt mit den Spielergemeinde, es ist ein anderes Businesskonzept. Das mussten wir erst lernen und erfahren, aber inzwischen haben wir es sehr gut im Griff. Schwieriger als gedacht war es auch, die Plattform zu verstehen. Wir mussten Facebook als Spiele-Plattform, inklusive der Tricks und Kniffe, begreifen lernen.
derStandard.at: Die Social-Game-Branche ist ja noch sehr jung, man kann wahrscheinlich auch weniger von den Fehlern anderer lernen.
Hutterer: Genau, das trifft ja prinzipiell auf Games zu. Gewisse Erfahrungswerte und best practices sind zwar da, aber das Handbuch "Wie mache ich ein Spiel, das Spaß macht" gibt es nicht. Das macht die Arbeit daran auch wieder spannend und abwechslungsreich.
derStandard.at: Wie viele Spieler hat Socialspiel derzeit und in welchen Ländern sind die Games besonders beliebt?
Hutterer: Insgesamt sind es derzeit 30.000 Spieler monatlich, in der Testphase von "Tight Lines Fishing" waren es 2700 Spieler pro Tag. Beim ersten Spiel "Push" haben wir auf Facebook eine Höchstmarke von 140.000 Gamern pro Monat erreicht. Die meisten kommen aus den USA und Großbritannien, wo Angeln sehr beliebt ist, ein großer Teil auch aus Südostasien. Obwohl der Fischersport vielleicht eher eine Männerdomäne ist, klicken in Facebook genauso viele Frauen auf "Tight Lines Fishing" wie Männer.
derStandard.at: PC-Konsolenspiele bieten immer bessere Grafik, Realismus und Gestensteuerung. Wohin wird sich die Social Gaming-Branche entwickeln?
Hutterer: Ich glaube, dass derzeit ein breites Spektrum an Spielen am Markt ist, wo für jeden und jede etwas dabei ist. Diese Dinge werden sich gegenseitig auch wahrscheinlich nicht auffressen, da die Games jeweils auf unterschiedliche Erlebnisse aus sind und auch anders konsumiert werden. Fakt ist, dass alle Games und Spielbereiche (ob Apps, Konsolen oder Social Games) nach wie vor wachsen. Das wird so lange gehen, so lange es die Generationen gibt, die mit diesen Medien aufgewachsen sind. Trotz App- und Onlinegame-Booms muss man berücksichtigen, dass es ja in einigen Ländern noch beschränkten Internetzugang gibt.
derStandard.at: Welche Trends und Strömungen sehen Sie im Game-Sektor?
Hutterer: Was Trends wie 3D betrifft, bin ich eher skeptisch. Vor allem, da die Technik noch nicht ausgereift ist, das Spielen mit 3D-Brille macht nicht so viel Spaß. Bis eine breite Verfügbarkeit erreicht ist, braucht es sicher noch viel Zeit, ich schätze fünf Jahre. Aber wer weiß das schon? Keiner hat an den enormen Erfolg der Gestensteuerung, Beispiel Wii, geglaubt. Alle großen Entwickler haben außerdem komplett verschlafen, was Apple jetzt mit Spielen auf iOS und der digitalen Distribution macht. Mittlerweile arbeiten große Ketten wie Gamestop an eigenen digitalen Distributionen. An allen Ecken und Enden verändert sich enorm viel.
derStandard.at: Plant sich denn die Branche oder Ihr Unternehmen selbstständig zu machen, sprich von den sozialen Netzwerken zu lösen?
Hutterer: Unsere Strategie ist es nicht, ich denke, es macht einfach mehr Sinn, Partnerschaften einzugehen. Man profitiert sehr von der bestehenden Community, zum Beispiel auf Facebook oder Hi5, eine Plattform, mit der wir zusammenarbeiten.
derStandard.at: Welche Ziele und Projekte hat Socialspiel sich für die nahe Zukunft gesetzt?
Hutterer: In naher Zukunft möchten wir mit unseren IPs und mehreren Live-Spielen international erfolgreich sein. Dafür sammeln wir schon fleißig Ideen für unser drittes Projekt. Ein weiteres Ziel ist es, neben Facebook auch auf anderen Plattformen aktiv zu sein. Außerdem wird der mobile Sektor zunehmend relevanter. (Eva Zelechowski, derStandard.at, 24.12.2011)