"Das Ziel ist es aber auch, da der motorisierte Verkehr wieder am Geschehen teilnimmt, dass am Platz Leben stattfindet."

Foto: derStandard.at/Blei

derStandard.at: Warum Shared Space und warum gerade in Graz?

Lisa Rücker: Das Konzept überzeugt. Es steht für eine bessere Verkehrskultur. Im Straßenverkehr sind alle TeilnehmerInnen nur als Ich unterwegs. Alle glauben, dass sie alleine auf der Straße sind. Durch Shared Space werden die VerkehrsteilnehmerInnen gezwungen, sich miteinander in Verbindung zu setzen und zu kommunizieren. Außerdem ist es bewiesen, dass durch das Konzept die Sicherheit steigt, da die Geschwindigkeit reduziert wird. In Graz wollen wir durch Shared Space den öffentlichen Raum an die Menschen zurückgeben. Vor allem wir als Grüne sind der Überzeugung, dass dieser schon lange genug den Autos untergeordnet war.

derStandard.at: Warum fiel die Wahl gerade auf den Sonnenfelsplatz?

Rücker: Es ist eine spannende Gegend rund um die Universität. Es halten sich dort viele Menschen auf und es herrscht hoher Betrieb. Außerdem fahren dort auch Busse und es war uns wichtig, dass der öffentliche Verkehr in das Konzept miteingebunden wird. Der Anteil von RadfahrerInnen, FußgängerInnen und Autos ist außerdem am Sonnenfelsplatz sehr ausgewogen. Alle sollen den Platz miteinander benutzen. Als ich eine Woche vor der Öffnung des Platzes für den Autoverkehr dort war, war es schön mitanzusehen, dass der Platz schnell von den Menschen erobert wurde. Das Ziel ist es aber auch, dass am Platz Leben stattfindet, obwohl der motorisierte Verkehr wieder am Geschehen teilnimmt.

derStandard.at: Ist das Konzept überall im öffentlichen Raum umsetzbar? Wieso hat man sich in Graz für eine Kreuzung entschieden?

Rücker: Nachdem es unser erster Shared Space war, haben wir uns eine vergleichbar einfache Variante ausgesucht. Es zeigen aber internationale Erfahrungen, dass auch andere Formen denkbar und möglich sind. Etwa dass durch einen Shared Space auf einer Straße zwischen zwei Ortshälften das Dorf wieder zusammenwächst. Ich hätte gerne ganz Graz als einen einzigen Shared Space. Ich weiß, dass das nicht realistisch ist. Aber durch die Aufwertung des Individualverkehrs wurden oft ehemalige Bezirkszentren durch den Verkehr geteilt. Wo früher das Leben stattgefunden hat, sind heute nur noch Kreuzungen. Genau in solchen Fällen könnte ich mir vorstellen, dass sich das Konzept positiv auswirken würde. Ich bin mir sicher, dass der Sonnenfelsplatz nicht unser letzter sondern erster Shared Space war.

derStandard.at: Was war Ihnen beim Shared Space am Sonnenfelsplatz wichtig?

Rücker: Ein ganz wichtiger Punkt war und ist die Barrierefreiheit. Auch sinnesbehinderte Menschen sollen weiterhin die Möglichkeit haben, gefahrenlos den Platz überqueren zu können. Bei einem Verkehrskonzept, bei dem Augenkontakt zwischen den TeilnehmerInnen eine große Rolle spielt, wären diese Menschen ausgeschlossen. Eigentlich beinhaltet das Konzept Shared Space, dass alle Regeln fallen. Das wurde aber aufgeweicht. Es soll weiterhin Schutzzonen für schwächere VerkehrsteilnehmerInnen geben. Da hat Graz eine neue Qualität des Shared Space entwickelt.

derStandard.at: Wieso ist gerade die Steiermark Vorreiter beim Shared Space?

Rücker: Die ehemalige Verkehrslandesrätin Christine Edlinger-Plodar hat schon früh auf Mobilität und Verkehrskultur gesetzt. Sie war es auch, die sich das Modell in den Niederlanden angeschaut hat. Wir haben dann gemeinsam Impulse für die Stadt Graz und das Land Steiermark gesetzt.

derStandard.at: Sind bereits weitere Projekte geplant?

Rücker: Es liegen viele Ideen am Tisch. Für diese braucht es aber eine gewisse Vorlaufzeit, da auch die BürgerInnen beteiligt werden müssen. Es geht immerhin um ihren öffentlichen Raum. Es wäre blöd, sie nicht miteinzubeziehen. Die Stadtregierung befindet sich außerdem bereits am Ende ihrer Legislaturperiode. Alles was ich machen kann ist, die Projekte vorzubereiten, falls ich auch in der nächsten Amtszeit Verkehrsstadträtin bin. Wir versuchen aber jetzt schon, den Shared-Space-Gedanken beim Umbau der Annenstraße miteinzubinden.

So soll es zwei offene Bereiche am Esperanto- und Vorbeckplatz geben. Ein kompletter Shared Space ist nicht möglich, da die Achse der Straßenbahngleise mitten durch den Platz geht. Es gibt viele Regeln, die wir dabei beachten müssen. Es soll aber bei jedem zukünftigen Planungsprojekt genau abgewogen werden, ob Shared Space Sinn macht oder nicht.

derStandard.at: Die Grünen in Wien hatten mit der Gebührensenkung für den öffentlichen Verkehr einen Erfolg. Was sind ihre Visionen für die Öffis in Graz?

Rücker: Ich freue mich wahnsinnig für die Grünen in Wien, dass sie einen Punkt landen konnten und Stärke bewiesen haben. Die Besonderheit der Öffis in Wien ist aber sicher, dass jeder U-Bahnkilometer zur Hälfte vom Bund mitfinanziert wird. Außerdem gibt es eine U-Bahnsteuer, durch die auch die öffentliche Hand einen Teil der Kosten trägt.

Die Stadt Graz muss das gesamte öffentliche Verkehrsnetz selbst erhalten und finanzieren. Da komme ich in den Verhandlungen mit dem Land Steiermark auch nicht weiter und stoße immer nur auf Ablehnung. Wir wollen aber in Zukunft Geld in die Hand nehmen und das Netz weiter ausbauen. Ich kann das Budget nicht so weit umschichten, dass die Gebühren gesenkt werden. Aber wir arbeiten an der sogenannten Mobilitätskarte. Damit soll es dann möglich sein, sich Fahrräder auszuborgen, Car Sharing zu betreiben und die Öffis zu benutzen. (Bianca Blei, derStandard.at, 20.10.2011)