Haben die Geheimdienste versagt?

montage: derStandard.at
Washington/Wien - Noch ist die Sache kein Riesenthema, aber sie wächst. Am Sonntag hat der demokratische Senator Bob Graham - er will 2004 als Präsidentschaftskandidat gegen George W. Bush antreten - lautstark kritisiert, dass sich die Bush-Regierung in ihren Erkenntnissen über Massenvernichtungswaffen im Irak auf ungenügende oder tendenziöse Geheimdienstberichte verlassen habe. Grahams Wortmeldung ist ein Beleg dafür, dass die Demokraten, die ansonsten auf diesem Gebiet noch über keine zündenden Themen verfügen, nun glauben, endlich einen Hebel gefunden zu haben, mit dem sie die Sicherheitspolitik von Bush attackieren können.

In der New York Times widmete sich Altkolumnist William Safire am Montag demselben Thema - wenn auch mit anderer Stoßrichtung. Auch Safire räumt ein, dass die US-Geheimdienste teils mangelhaft über das informiert waren, was sich im Irak zutrug. Von den angeblich zu allem entschlossenen Elitesoldaten Saddams wurde ebenso wenig gesehen wie von chemischen Waffen zur Verteidigung irakischer Befestigungen. Dennoch, fügt Safire hinzu, bestehe kein Grund zur Aufregung. US-Präsident Bush und der britische Premier Tony Blair hätten bei der Abwägung des Sachverhaltes recht getan, die wenigen "düsteren Indizien", die gegen einen "aggressiven Tyrannen" vorlagen, so ernst wie möglich zu nehmen.

Zwei Möglichkeiten

Safires Kommentar wird Bush bestimmt freuen. Allerdings: Wenn die Suche nach Massenvernichtungswaffen keine Resultate bringt, wird es bald um die Glaubwürdigkeit der US-Regierung gehen - und um die Frage, wer Schuld an der unzutreffenden Meldungslage trägt. Da gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder das von den Geheimdiensten gelieferte Material war untauglich - oder aber die Politiker werteten es so aus, dass sie alles unterdrückten, was ihren politischen Absichten zuwiderlief.

Eine unbedachte Äußerung von Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz in der letzten Woche, wonach das Weiße Haus die Massenvernichtungswaffen lediglich aus taktischen Motiven ins Spiel gebracht habe, spricht für die zweite Variante. In Geheimdienstkreisen scheint man sich aber ernsthaft Sorgen zu machen, dass die Politik dennoch versuchen könnte, sich an den Diensten "abzuputzen". In einem Akt der Vorwärtsverteidigung hat die CIA am 28. Mai auf ihrer Homepage Material über fahrbare irakische Biowaffenlabors publiziert, die darlegen sollen, dass die CIA tatsächlich "über stärkste Hinweise verfügte, dass der Irak sein Biowaffenprogramm verstecken wollte".

Nach dem 11.9.2001 hatten sich die US-Geheimdienste herbe Kritik von allen Seiten gefallen lassen müssen, weil sie die Anschläge in New York und Washington nicht verhindern konnten. In der Folge wurde eine umfangreiche Geheimdienstreform eingeleitet, vor allem um die Kommunikation zwischen militärischen und nicht militärischen Diensten zu verbessern. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2003)