Ingrid Schramm / Michael Hansel (Hrsg.), "Hilde Spiel und der literarische Salon".
€ 26,90 / 167 Seiten, Studienverlag Wien/Bozen 2011

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Mit dem Tod von Hilde Spiel im November 1990 wurde das kulturelle und literarische Leben in Österreich sowie auch das deutschsprachige Feuilleton um eine große Persönlichkeit ärmer. Stets hatte es die in Wien geborene, oft auf den Status einer Grande Dame reduzierte Schriftstellerin und Publizistin verstanden, mit ihren Arbeiten Akzente zu setzen, gleichwohl mit ihren Ansichten zu polarisieren.

Ob sie dies als Vermittlerin tat, als Übersetzerin und Autorin oder als Kulturkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, immer wieder rückte die 1936 nach England Emigrierte, 1963 endgültig wieder nach Österreich Zurückgekehrte in den Mittelpunkt des Interesses.

Ihrem "Freundfeind" Friedrich Torberg blieb sie über dessen Tod hinaus verbunden, Thomas Bernhard war sie erste Förderin, den großen Dichterinnen Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann freilich stand sie ambivalent gegenüber. Ebenso Elias Canetti, dessen Hang zur Selbstinszenierung sie durchaus im eigenen erkannte, oder Alexander Lernet-Holenia, dem sie im Jahr 1972 als PEN-Präsidentin folgen wollte, was aber scheiterte und bei Spiel große Verbitterung hervorrief.

Alldem trägt eine äußerst bemerkenswerte, anlässlich des 100. Geburtstags von Hilde Spiel im Studienverlag erschienene Publikation Rechnung und leistet darüber hinaus weit mehr. Der sorgsam von Ingrid Schramm und Michael Hansel herausgegebene, von Bernhard Fetz, dem Direktor des Literaturarchivs der Nationalbibliothek eingeleitete und mit zahlreichen Fotografien ausgestattete Band gewährt Einblick auf das gesellschaftliche Leben Hilde Spiels, ohne dabei die Korrespondenz mit ihrem Lebenswerk zu verabsäumen, ist doch das eine ohne das andere nicht denkbar.

Ehrgeiziges Netzwerk

So vertiefen die Beiträge von Wegbegleitern, Kritikerinnen und Wissenschafterinnen das Verständnis für Hilde Spiels Wirken nachhaltig. Unter mehrmaligem Rückgriff auf den im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen und für die Publikation zur Verfügung gestellten Nachlass Spiels entsteht das Bild einer Persönlichkeit aus der Perspektive ihres Wirkens im literarischen Salon.

Früh schon wusste sich Spiel dieser Netzwerke zu bedienen, sie später ehrgeizig auszubauen, was zu ihrem literarischen Salon im Berlin der Nachkriegszeit, hernach zu jenem an ihrem Sommerwohnsitz in Sankt Wolfgang führte. Auf die Bedeutung dieser Netzwerke verweist Spiels literarischer Nachlassverwalter Hans A. Neunzig: Ein Nehmen und Geben seien sie gewesen, ein permanenter Austausch. Rückblickend hatte Spiel ihre Berliner Jahre als "reichste, vielfältigste und spannendste" Lebensphase bezeichnet, es war aber wohl auch eine der schwierigsten.

Sprungbrett zur Karriere

Im Jahr 1946 war sie ihrem Mann nach zehnjährigem Exil nach Berlin gefolgt, und rasch hatte sie erkennen müssen, wie schwierig sich der Umgang mit der nichtemigrierten deutschen Intelligenz gestaltete. Aber Berlin war Sprungbrett zur Karriere, 1947 wurde Spiel Theaterkritikerin für die Welt, mit ihrem Mann bewohnte sie eine herrschaftliche Residenz: Illustre Gäste fanden sich ein im literarischen Salon, während sich die Berliner Bevölkerung dem Hungerwinter ausgesetzt sah.

Dass Spiels Verhalten nach den Jahren des Exils zwar verständlich, moralisch aber keineswegs einwandfrei war, verdeutlicht Esther Schneider Handschin. Wie sie mag man mit einigem Befremden Spiels "Farewell-Party" mit einigen "handpicked" Gästen gegenüberstehen, als dann 1948 ihre Zeit in Berlin wieder zu Ende ging.

Das gesellschaftliche Leben freilich fand bald Fortsetzung. Michael Hansel und Ingrid Schramm führen in ihrem Spaziergang durch das Gästebuch von St. Wolfgang nicht nur vor Augen, welche Persönlichkeiten sich ab Mitte der 1950er-Jahre in Spiels "dampfender Namensküche" im Salzkammergut ein Stelldichein gaben, sie zeigen auch auf, welche Mittel Spiel einsetzte oder einsetzen musste, um den so erstrebten Anschluss an die "literarische Weltfamilie" zu finden.

Dieser war auch über die Kaffeehäuser möglich, schon früh war Hilde Spiel ein Teil der Wiener Kaffeehausliteraturszene. Wie lange Letztere aber als intellektueller Raum nur Männern offenstand, untermauert Evelyne Polt-Heinzl. Wohltuend kritisch beschäftigt sie sich mit Spiels Leben zwischen Kaffeehaus und Salon, verweist zudem darauf, wie Frauen in der Memoirenliteratur marginalisiert wurden - und dass auch Spiel in ihrer eigenen Erinnerungsprosa immer wieder zeittypische Männerperspektiven übernahm.

Viele Jahrzehnte lang berichtete Hilde Spiel regelmäßig über die Salzburger Festspiele, nahm teil am mondänen Leben der "Mozartstadt", besuchte oft das Café Bazar. Diesem Umstand widmet sich Christa Gürtler, Erhellendes ist zu lesen über Spiels Verhältnis zu Ingeborg Bachmann, über das zu Gottfried von Einem, aber auch über ihre Stellung zur Entwicklung bei den Salzburger Festspielen in der Ära Karajan.

Hilde Spiel und die Musik: Im Jahr 1962 hatte sie mit ihrem Buch Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation bezüglich Arnsteins Bedeutung im Leben Mozarts Pionierarbeit geleistet. Ingrid Schramms Verweise auf diese Frau, die einst die Madame de Staël Wiens genannt wurde, sind so lesenswert wie Deborah Holmes' interessante Einblicke in die Wiener Salonkultur der Jahrhundertwende. Nicht zuletzt aber machen vor allem die persönlichen Reminiszenzen von Julian Schutting, Peter Turrini und Ulrich Weinzierl dieses Buch zur unverzichtbaren Lektüre.

Denn "Hilde Spiel und der literarische Salon" zeichnet sich mehrfach aus: In einer gelungenen Melange aus wissenschaftlichen Beiträgen und persönlichen Annäherungen zeigt der Band die Schriftstellerin, Publizistin und Netzwerkerin Hilde Spiel in all ihren Facetten und macht Lust, sich erneut mit ihrem Werk zu beschäftigen. So stellt dieses Buch zweifellos einen Mehrwert dar, und man mag beeindruckt zu jener Einsicht kommen, die Ulrich Weinzierl nach Hilde Spiels Tod treffend zum Ausdruck bringt: "So jemand kommt nicht wieder." ( Christoph W. Bauer, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 22./23. Oktober 2011)