Markus V. Höhne (Dr. des.) arbeitet am Max-Planck.Institut für
ethnologische Forschung in Halle. Er ist der Herausgeber (mit Virginia Luling) des Buches Milk and Peace, Drought and War. Somalai culture, Society and Politics (London, 2010)

Privat

In den letzten Wochen sorgte der schon lang schwelende Konflikt zwischen der islamistischen Al-Shabaab Miliz und der somalischen Regierung wieder für internationale Schlagzeilen. Nach Entführungen westlicher Touristen und Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen beschloss Kenia außerdem in Somalia einzumarschieren (derStandard.at berichtete). Die USA gaben Anfang der Woche eine Warnung aus, nach Kenia zu reisen. Terroranschläge seien zu befürchten. Wie der somalische Bürgerkrieg auch die umliegenden Länder betrifft und welche Maßnahmen den Konflikt entschärfen könnten, erklärt Ethnologe Markus Höhne im derStandard.at-Interview.

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derStandard.at: Die Ereignisse in Somalia überschlagen sich in den letzten Wochen. Zuerst Entführungen von Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen, dann der Einmarsch Kenias in Somalia. Außerdem vermeldet al-Shabaab 70 Soldaten der Afrikanischen Union getötet zu haben. Steuern wir auf einen neuen Höhepunkt des schon lange schwelenden Konflikts zu?

Höhne: Der Konflikt ist noch lange nicht beendet. Viele haben sich im August 2011 wohl dazu verleiten lassen zu glauben, dass mit dem Rückzug von al-Shabaab aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu al-Shabaab besiegt ist und die Übergangsregierung die Macht übernehmen wird. Das war ein Fehlschluss, der nicht fundiert war. Al-Shabaab kontrolliert nach wie vor circa 50 Prozent des Landes. Der Rückzug aus der Hauptstadt war strategischer Natur bzw. Ausdruck einer momentanen Schwächung al-Shabaabs, bedeutete jedoch nicht ein Ende des Kampfes, und das zeigt sich eben gerade jetzt wieder.

derStandard.at: Aus welchen Gründen hat sich al-Shabaab im August denn dafür entschieden, aus Mogadischu abzuziehen?

Höhne: Das hängt unter anderem eng mit der aktuellen Hungersnot zusammen. Die USA haben 2009 die Devise ausgegeben, dass ihre Hilfsgelder nicht in Gebieten verwendet werden dürfen, die von al-Shabaab kontrolliert werden. Al-Shabaab hat schon länger internationale "westliche" Hilfsorganisationen gegängelt und auch erpresst. Ende 2009 kam es dann zu einem Konflikt zwischen den Islamisten und dem world food programme (WFP), das dann Anfang 2010 die Arbeit in Somalia einstellte. Krieg, die Politisierung humanitärer Hilfe und eine periodische Dürre führten dann im Frühjahr 2011 zu der bekannten Hungerkatastrophe. Diese hat die Kräfte von al-Shabaab unterminiert, denn al-Shabaab rekrutiert, auch mit Zwang, unter der loaklen Bevölkerung, die dann aber vor dem Hunger zu fliehen versuchte. Das war ein Grund für den Rückzug aus Mogadischu. Al-Shabaab war 2008 bis 2010 die domininierende Kraft in Südsomalia.

derStandard.at: Als es 2007 die äthiopische Militärintervention gab und mehr als 10.000 Soldaten  einmarschiert sind, ist die Gewalt in Somalia eskaliert. Stehen wir jetzt nach dem Einmarsch Kenias vor einer ähnlichen Situation?

Höhne: Die Äthiopier haben den Fehler gemacht, dass sie bis nach Mogadischu marschiert sind. Da haben sie ganz viele Somalis gegen sich aufgebracht. Die Hauptstadt wurde besetzt, Frauen vergewaltigt und Zivilisten getötet. Wenn Kenia dasselbe machen würde, würde das auch zu ähnlichen Reaktionen führen.

Allerdings marschieren die Kenianer mit weniger Truppen ein. Sie haben auch ein klareres Ziel. Es ist ein Vergeltungsschlag für die Entführung westlicher Touristen von Kenia nach Somalia. Man kann darüber streiten, ob diese Entführungen direkt von Al-Shabaab durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden, oder ob das Kriminelle waren, die diese Leute an al-Shabaab verkaufen wollten. Das ist alles sehr undurchsichtig. Allerdings hat erst vor wenigen Tagen der Sprecher von al-Shabaab angekündigt, dass man gegen Kenia vorgehen wird.

Und Kenia wird das nächste Ziel al-Shabaabs sein. Es gibt in Mombasa, Nairobi und anderen großen Städten des Landes große somalische Gemeinschaften. Es ist ein offenes Geheimnis, dass al-Shabaab dort präsent ist. Experten sagen, es ist nur eine Frage Zeit, bis dort Anschläge verübt werden. Klarerweise wird dabei auch versucht, die Tourismusindustrie zu treffen.

derStandard.at: Was ist das konkrete Ziel, das Kenia vor Augen hat, wenn es jetzt in Somalia einmarschiert? Wann ist die Mission erfüllt?

Höhne: Es gibt in Südsomalia einen neuen Teilstaat, Azania, der als Pufferstaat entlang der kenianischen und somalischen Grenze fungieren sollte. Er wurde vor einem Jahr auf Drängen Kenias hin gegründet um al-Shabaab zu bekämpfen und aus Kenia herauszuhalten. Doch de facto funktioniert das sehr schlecht. Jetzt müssen die Kenianer die Arbeit selber machen und vor Ort für Ordnung sorgen.

Wenn Azania besser funktionieren würde, könnte man sich militärisch aus der Schusslinie nehmen. Ich bezweifle, dass sich das in naher Zukunft ändert. Solange sich Kenia nur auf die Kontrolle der Grenzregion beschränkt, auch auf der somalischen Seite, ist das in den Augen der meisten Somalis noch legitim und könnte größere militärische Operationen von al-Shabaab in Kenia verhindern. Terroranschläge, z.B. in Nairobi, können so aber sicher nicht verhindert werden.

derStandard.at: Wie lässt es sich erklären, dass die derzeitige Übergangsregierung in Somalia so derartig schwach ist, dass sogar andere Staaten mit deren Einverständnis einmarschieren dürfen?

Höhne: Das ist ein Drama, das sich schon seit 20 Jahren hinzieht. Die somalischen Akteure, die sich selber in die Politik begeben und auch von externen Mächten anerkannt werden, waren immer diejenigen, denen man den Staat am allerwenigsten anvertrauen sollte. Mit wem haben die Amerikaner in den 90er Jahren verhandelt, als es darum ging nach dem Bürgerkrieg einen neuen Staat aufzubauen? Mit Aidid und Ali-Mahdi, den übelsten Warlords ihrer Zeit. Es wurden auch später immer die militärischen Akteure und Kriegstreiber privilegiert. Übrigens, in Nordsomalia, fernab externer Interventionen, gelang es den Menschen den Bürgerkrieg zu beenden und relativ stabile staatliche Strukturen aufzubauen. Die dort in den 90er Jahren gegründeten "Staaten" Somaliland und Puntland funktionieren bis heute, werden aber international nicht anerkannt.

Eine Lehre, die man daraus ziehen kann, ist: je weniger Intervention, desto besser. Lassen wir die Somalis einfach mal machen. Man müsste auch Äthiopien, Kenia und Dschibuti davon abhalten, diese Stellvertreterkonflikte voranzutreiben.

derStandard.at: Sie glauben also, dass al-Shabaab von selbst friedlich werden würde, wenn sich alle externen Kräfte aus dem Konflikt heraushalten?

Höhne: Das treibt meine Aussage natürlich auf die Spitze. Man hätte 2006 die Union islamischer Gerichte einfach machen lassen sollen, die waren nämlich vor Ort bei den Leuten akzeptiert und noch nicht so gewalttätig. Es hat damals geheißen, sie seien die somalischen Taliban, aber das war vollkommen übertrieben. Die Äthiopier wurden dann von den Amerikanern dabei unterstützt, sie wegzubomben. Jetzt haben wir al-Shabaab, die zehn Mal so schlimm sind

Es ist allerhöchste Zeit einen neuen Stil von Politik in Somalia zu favorisieren. Man kann nicht immer sagen, wir richten Somalia militärisch zurecht. Man kann nicht sagen, wir etablieren irgendwelche nicht-legitimen Führer, und wenn sie sich nicht durchsetzen können, helfen wir ihnen eben militärisch. Es gibt kein Beispiel weltweit, wo so etwas gut gegangen ist. Der erste Schritt kann jetzt aber nicht sein, die Armeen abzuziehen und al-Shabaab an das Ruder zu lassen. Vielmehr müsste ein ernsthafter Dialog mit allen Akteuren vor Ort gestartet werden.

derStandard.at: Ist es nicht naiv zu glauben, dass der Dialog irgendetwas ändern wird? Etwa die islamistische Ideologie von al-Shabaab?

Höhne: Al-Shabaab ist sehr vielschichtig. Es gibt eine kleine Gruppe, die ideologisch sehr extrem ausgerichtet ist und mit denen man nicht reden kann. Aber es gibt eine ganze Menge Kämpfer und lokale Anführer, die keinen globalen Djihad wollen. Sie haben nur eine somalische Agenda. Natürlich sagen sie, dass sie Mudschaheddin sind und für den Islam kämpfen, aber viele machen das auch aus Verzweiflung. Die al-Shabaab Kämpfer werden bezahlt; das hilft ihnen und ihren Familien in einem zerfallenen Staat beim Überleben. Es ist für sie zudem allemal besser, für den Islam zu kämpfen als für einen einen Warlord oder im Auftrag der Amerikaner.

Eine säkulare Regierung wird es nicht geben, die will auch kaum ein Somali haben. Somalis sind Moslems und relativ konservativ. Die externen Interventionen vor allem Äthiopiens haben das noch verstärkt. Als Vertreter des Westens hinzugehen und zu sagen, dass man eine säkulare Regierung braucht, die die Rechte der Frauen stärkt und so weiter, ist zum Scheitern verurteilt. Man muss nach einem Minimalkonsens suchen. Etwa einer Garantie, dass Somalia die Nachbarstaaten nicht angreift. Dass kein globaler islamischer Terrorismus unterstützt wird. Dass die Regierung innerhalb Somalias auf islamischen Prinzipien beruht und auch die Nachbarstaaten davon abgehalten werden, in Somalia einzumarschieren.

Die derzeitige Regierung ist ein nichtsnutziger Verein. Sharif Sheikh Ahmed ist ein korrupter, gekaufter, vor Ort überhaupt nicht legitimierter Präsident. Es steht auch im jüngsten Report der UN-Monitoring Group, dass die derzeitige Führung in einem Maße korrupt ist, das unerträglich ist. Fast 90 Prozent der Gelder, die an diese Regierung gehen, werden missbraucht. Das ist also bekannt, und trotzdem versucht die internationale Gemeinschaft, in diesem Stil weiterzumachen. Wenn man so arbeitet, braucht man sich auch nicht wundern, dass Somalia nach wie vor im Dreck steckt. (Teresa Eder/derStandard.at, 23.10.2011)