Das österreichische AKW Zwentendorf spielt im Film eine nicht unwesentliche Rolle.
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Bei einer Kernspaltung war persönlich noch niemand dabei. Der physikalische Vorgang muss, damit er seine zerstörerische Kraft nicht entfalten kann, von massiven Vorrichtungen umgeben werden, und irgendwo zwischen diesen Reaktorkesseln, Schutzmänteln, Betonkuppeln sitzen Ingenieure in einem Kontrollraum und blicken auf Leuchtanzeigen. Die Technologie zur friedlichen Nutzung der Kernkraft ist ein perfektes Beispiel für eine Rationalität, die sich mit Schutzmänteln umgeben muss, damit ihre Widersprüche zumindest nach innen nicht allzu deutlich sichtbar werden.
Der Dokumentarfilmer Volker Sattel hat mit Unter Kontrolle Einblick in das Innere dieser Technologie genommen. Er hat sich Zugang verschafft zu Kernkraftwerken, er hat mit den Menschen gesprochen, die dort arbeiten, und er ist dabei auf ein System gestoßen, das sich schon mehr oder weniger auf seine Abwicklung eingestellt hat. Die langen Dreharbeiten, die ein Film dieser Art erforderlich macht, haben dabei mehrfache, bittere Ironien mit sich gebracht - aber gerade eingedenk der Katastrophe in Fukushima kann man sich mit den Aufnahmen von Sattel auf die "lange Dauer" der Atomenergie einlassen, die ja noch in ihrer Stilllegung eine Menge Arbeit macht.
Vor diesem Hintergrund erwies es sich auch für die Filmemacher - neben Volker Sattel vor allem sein Koautor Stefan Stefanescu - als Glücksfall, dass Österreich den Ausstieg aus der Atomenergie noch vor dem Einstieg vollzogen hat. 1977 fand hier die Volksabstimmung statt, bei der sich die Gegner der Nuklearenergie knapp und gegen die Bestrebungen der eigenen Regierung durchsetzten. Seither steht in Zwentendorf ein Reaktor herum, der als Museum und Ersatzteillager dient - und damit als idealer Drehort für Unter Kontrolle. Hier fällt auch ein entscheidender Satz: "Das Volk war mit der Entscheidung überfordert", sagt einer der Ingenieure, der meint, er könnte aufgrund seiner technischen Ausbildung qualifiziertere Aussagen zum Thema machen.
Dass die Atomenergie eine Demokratie strukturell überfordert, weil sie Risikoabwägungen notwendig macht, die in ein herkömmliches Denken in Alternativen kaum integrierbar sind, das wird in Unter Kontrolle beiläufig anschaulich. Was Sattel allerdings nicht ins Bild nimmt, das ist die Betreiberebene, das betrifft die ökonomische Infrastruktur der Kraftwerke, die ja großen Konzernen gehören, während im Film eher der Eindruck mittelständischer Betriebe entsteht, in denen (fast ausschließlich) Männer für Ordnung sorgen, mit denen man eher ein Kartenspiel zu beginnen geneigt ist als eine Diskussion über Risikofolgenabwägung.
In Unter Kontrolle hat die Kontrolle letztlich gesiegt: Wir sehen eine Spitzentechnologie der Moderne an ihrem Ende, also eine weitere Ruinenlandschaft des industriellen Zeitalters, das ständig leere Strukturen untergegangener Innovationen hinterlässt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD - Printausgabe, 22./23. Oktober 2011)