Wien - Die Anti-Wallstreet-Proteste in den USA und Europa sind Teil eines größeren Vertrauensverlusts in die Institutionen. Plakate gegen Zentralbanken, Geschäftsbanken, den Internationalen Währungsfonds oder die amtierenden Regierungen bei den verschiedenen "Occupy"-Protesten zeugen von einer Skepsis gegen die Machtelite.

Dabei ist Vertrauen essenziell für das Wirtschaftswachstum, warnen Ökonomen. Jan-Egbert Sturm, Professor und Leiter der Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich, geht davon aus, dass "der Vertrauensverlust in die Institutionen ein Grund für die Turbulenzen ist, die wir derzeit haben", also die erneute Rezessionsgefahr in Europa und den USA. Denn Sturm warnt, dass Unternehmen und Haushalte kaum Anreize für Investitionen und Konsum haben, weil die Politik das Schuldenproblem nicht in den Griff bekommt. "Das Vertrauen in die Politik lässt nach, weil das Problem nie wirklich gelöst wird." Daher wäre ein "Paukenschlag" bei den kommenden EU-Gipfeln durchaus angebracht. Dann könnte insbesondere die Wirtschaftspolitik wieder an Vertrauen bei der Bevölkerung zulegen, glaubt der Ökonom.

Besonders umkämpft sind die Zentralbanken, bei den Protesten in den USA ebenso wie in Europa. Sowohl die libertäre Tea-Party-Bewegung als auch bei den "Occupy Wall Street"-Protesten skandieren Demonstranten die geflügelte Formel "End the Fed".

Ähnlich unbeliebt ist die EZB bei den Protestzügen. Vor deren Hauptquartier in Frankfurt haben Demonstranten unter dem Motto "Occupy: Frankfurt" ihre Zelte aufgeschlagen. Die intransparenten Milliardenrettungen von Geschäftsbanken werden kritisiert. Dabei sind die Fronten klar. Historisch vertrauten gerade die Franzosen der EZB kaum, etwa weil die Zentralbank immer als zu "deutsch" empfunden wurde.

Daniel Gros, Leiter des belgischen Thinktanks Centre for European Policy Studies (CEPS), stellt aber einen breiten Vertrauensverlust für die Europäische Zentralbank fest. In einem Papier dokumentierte er im Mai, dass erstmals seit der Euro-Einführung mehr Europäer der EZB miss- als vertrauen. Für den Ökonomen ein Alarmsignal, hänge doch die geldpolitische Fähigkeiten der EZB auch vom Vertrauen ab, das ihr die Bürger bei der Inflationsbekämpfung entgegenbringen.

Noch schwerwiegender ist aber der Vertrauensverlust in die Banken, die auf stabile Einlagen und Finanzierungen angewiesen sind. So fordern die internationalen Proteste einhellig mehr Regulierung für die Finanzindustrie. Aber das ultimative Anzeichen für ein Misstrauen gegenüber Banken, das Abziehen von Spareinlagen, bleibt ein regionales Phänomen in Europa. Nur in Griechenland und Irland haben Sparer 20 bis 40 Prozent ihrer Einlagen abgezogen.

Hingegen droht Ungemach vom Misstrauen der Banken untereinander. Anstatt ihre Gelder anderen Instituten zu borgen, horten sie mehr als 180 Mrd. Euro bei der Europäischen Zentralbank. (sulu, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.10.2011)