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Völlig zerstörte Straßenzüge in Sirte: Hier soll sich Muammar al-Gaddafi lange Zeit versteckt gehalten haben.

Foto: Reuters/Al-Fetori

Man will vermeiden, dass eine Wallfahrtsstätte für Loyalisten entsteht.

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Auch der Freitag, der muslimische Feiertag, gehörte in Libyen noch ganz den Freudenkundgebungen über das Ende der Ära von Diktator Muammar al-Gaddafi. Erst für Samstag hat der Nationale Übergangsrat (NTC) die Proklamation der nationalen Befreiung und damit den offiziellen Beginn der politischen Transformation in Aussicht gestellt. Verwirrung, und die mag auch gewollt sein, herrschte um die Beerdigung von Gaddafi, dessen Leichnam an einen geheimen Ort in der Stadt Misrata gebracht worden war.

Gaddafi wird in jedem Fall ein Begräbnis nach islamischem Ritus erhalten. Der schreibt vor, dass die Beerdigung möglichst rasch zu erfolgen hat. Wie Ali Tarhouni, der Finanzminister der Übergangsregierung bekanntgab, soll aber noch zugewartet werden, bis alle Vorkehrungen - etwa der Entscheid, wer von Familie und Stamm daran teilnehmen darf - getroffen sind. Solange wird die Leiche in einem Kühlraum aufbewahrt. Die Führung will auf alle Fälle vermeiden, dass der Ort der Beerdigung bekannt und das Grab später zur Wallfahrtsstätte wird.

Aufklärung gefordert

Für die meisten Libyer zählt nur die Tatsache, dass der Diktator tot ist. Es gibt aber auch libysche Stimmen, denen sich die UN und Menschenrechtsorganisationen angeschlossen haben, die vom NTC eine lückenlose Aufklärung über die Umstände seines Todes verlangen (siehe Artikel unten). Sie wollen nicht, dass die neue Ära mit der Vertuschung von allenfalls unliebsamen Wahrheiten beginnt. Der NTC hat eine gerichtsmedizinische Untersuchung vornehmen lassen und der scheidende Übergangspremier Mahmud Jibril gab danach bekannt, dass Ghaddafi im Kreuzfeuer zwischen seinen Loyalisten und Revolutionären durch einen Schuss in den Kopf umgekommen sei. Man wisse nicht, von wem die Kugel abgefeuert worden sei.

Saif al-Islam, der Sohn, der einst als Erbe des Oberst gesehen wurde, befindet sich laut Kämpfern in Rebellenhand. Er sei in Slitan, 160 Kilometer östlich von Tripolis, gefangen genommen worden, berichtete der arabische TV-Sender Al-Arabiya unter Berufung auf einen Beteiligten. Er soll am Rücken verletzt sein, hieß es. Offiziell wurde der Bericht noch nicht bestätigt. Andere Berichte sahen Saif al-Islam auf der Flucht nach Süden in den Niger, dorthin hatte sich Ende September bereits sein Bruder Al-Saadi mit einem Konvoi voller Geld, Gold und Waffen abgesetzt. Am Donnerstag hatte es noch geheißen, sowohl Saif als auch dessen Bruder Motassim seien getötet worden.

Wiederaufbau ...

Der Neuanfang in Sirte und Bani Walid, der zweiten Gaddafi-Hochburg, die erst vor wenigen Tagen gefallen ist, wird zu den vielen großen Herausforderungen gehören, die die neue Führung mit Beginn der nächsten Phase zu meistern hat. In der Endphase der Eroberung dieser Gaddafi-Bastionen haben sich die Meldungen über Racheakte und Plünderungen gehäuft. Die Bevölkerung und alle bewaffneten Gruppen auf ein neues Ziel einzuschwören, nachdem Gaddafis-Sturz als vereinender Kitt wegfällt, wird die wichtigste Aufgabe sein. Man solle eine "Schlacht des Wiederaufbaus" ausrufen, hat einer der gewichtigen Militärkommandanten aus Zintan vorgeschlagen. Youssuf Qaradawi, der auch in Libyen einflussreiche islamische Geistliche aus Katar, rief sie zu Versöhnung und Entwaffnung auf.

... und Entwaffnung

Die Entwaffnung der freiwilligen Kämpfer und der Aufbau regulärer Sicherheitskräfte mit Polizei und Armee wird die zweite Herkulesaufgabe sein. Dabei wird die NTC zu entscheiden haben, wie weit die UN behilflich sein soll. Einigkeit besteht, dass es keine Blauhelme geben wird. Die Bevölkerung hat extrem hohe Erwartungen, dass es schnell aufwärts geht, vor allem mit der medizinischen Betreuung der Verletzten und der Wiederherstellung der Grundversorgung. (Astrid Frefel aus Kairo/DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2011)