Ala-Eldine Hallak: "Außer den Kundgebungen können wir hier in Österreich nicht viel machen, die Menschen in Syrien aber riskieren ihr Leben."

Foto: Alkan Güler

Ala-Eldine Hallak ist Medizinalrat und seit März dieses Jahres jeden Sonntag protestierend auf dem Stephansplatz anzutreffen. "Bei jedem Wetter und auch im Fastenmonat Ramadan", erzählt er. Seitdem der "Arabische Frühling" auf Syrien übergeschwappt ist, hat sich auch sein Leben verändert. Von dem Tag an verschrieb sich der 68-jährige Kinderarzt dem "Kampf um die Freiheit" und dem Protest gegen das Regime von Bashar al-Assad. Immer wieder klingelt sein Mobiltelefon, Freunde und Bekannte tauschen das Neueste über die Lage in Syrien aus. Bei den Exil-Syrern in Österreich tut sich etwas.

Wobei sich auch schon vor dem März dieses Jahres, als das syrische Regime begann, mit aller Härte gegen die Oppositionsbewegung vorzugehen, Widerstand unter den Syrern regte. "Wir haben zum Beispiel vor vier Jahren eine Kundgebung vor der UNO-City in Wien organisiert, als Offiziere aus Syrien wegen dem Hariri-Bericht hier waren", berichtet Hallak, der auch Präsident des Verbands der syrischen Gemeinden in Österreich ist. Von der syrischen Gemeinde in Österreich, die laut Hallak rund 5.000 Syrer umfasst, hörte man bisher eigentlich kaum etwas. "Wir wollen uns nicht hervorheben", so Hallak.

Gemeinsam gegen Assad

Aber dieses Jahr haben sich die österreichischen Exil-Syrer getraut, lauter und sichtbarer zu sein, die Proteste und Kundgebungen finden regelmäßig statt. "Jeden Tag sterben Menschen, die Bevölkerung hat Angst in den Knochen, aber trotzdem geht sie auf die Straße. Jeden Tag gehen junge Leute hinaus und verabschieden sich von ihren Familien", schildert Hallak die Situation, die ihm seit März keine Ruhe lässt. Vor allem die Bilder der erschossenen Demonstranten in den Fernseh-Nachrichten haben ihn aufgerüttelt. "Ich habe mich vor den Spiegel gestellt und in mein Gesicht gespuckt. Die Menschen dort starben und ich schaute zu. Schande über mich, dachte ich mir."

Daraufhin trommelte er die Mitglieder der syrischen Gemeinden in Wien zusammen, und hat dabei "keine politische Richtung draußen gelassen." Von den Alawiten, Sunniten, Kurden und Christen bis zu den Muslimbrüdern. "Jeder hat das Recht, gegen die Regierung zu protestieren. Auch tausende alawitische Regimegegner sind in Haft", berichtet Hallak. Die Muslimbrüder will er nicht ausschließen. Schließlich geht es um den gemeinsamen Kampf gegen Assad und für die Demokratie. Auch enge Kontakte zum vor kurzem in Istanbul gegründeten syrischen Nationalrat, der alle Oppositionsströmungen vereint, bestehen. "Wir alle wollen Demokratie, und nicht einen Staat, der auf Religion aufbaut, sondern auf Freiheit und Gleichheit", so Hallak. Am liebsten wäre ihm eine neue Verfassung in Syrien nach österreichischem Vorbild mit föderaler Struktur der Bundesländer und einem Mehrparteien-System.

"Auf acht Syrer ein Geheimdienst"

Aber diese Vision hat mit dem Alltag in Syrien wenig zu tun. "Dort gibt es eine Verfassung, in der die Baath-Partei als einzige Macht verankert ist, das ist keine Demokratie", klagt Hallak. Er bezeichnet das Regime rund um Bashar al-Assad als "Mafia von oben bis unten" und als ein System der Folter und Unterdrückung. "In Syrien sagt man: Auf acht Syrer kommt ein Geheimdienst. Die Menschen hatten sogar Angst vor dem Telefonieren, sie wurden über Jahrzehnte lang selbst am Telefon überwacht", beschreibt Hallak das System der Überwachung und Bespitzelung. Der Kinderarzt, der zum Studieren nach Wien gekommen ist, weiß wovon er spricht. Sein Vater, ein Journalist, wurde in den 1960ern, als Hafiz al-Assad, Vater und Vorgänger des jetzigen syrischen Präsidenten, nach einem Militärputsch der Baath-Partei an die Macht kam, verhaftet. "Mein Vater war lange Zeit im Gefängnis, und wir hatten auf einmal nichts mehr, kein Geld, keine Ersparnisse."

Auch nach der Freilassung aus der Haft durfte Hallaks Vater nicht mehr seinen Beruf ausüben und versuchte mit Hilfsjobs die Familie zu ernähren. Schrieb er früher für die Zeitungen, so musste er sich auch eine Zeit lang als Zeitungsverkäufer auf der Straße durchschlagen. Eine harte Zeit für die Familie. Was Hallak aber von dieser Zeit mitgenommen hat, ist eine starke Freiheitsliebe. "Mein Vater erzählte mir viele Geschichten über die Freiheit. Da gibt es auch ein Gedicht über eine Taube, die lieber sterben will, als ihre Flügel herzugeben. Die Menschen in Syrien denken genauso. Sie haben jahrzehntelang über das Unrecht geschwiegen, die Angst steckt ihnen in den Knochen, aber sie wollen lieber in Würde sterben, als wie Tiere zu leben."

Elite hat auch Angst

Hallak hat auch mit denjenigen gesprochen, die es geschafft haben, aus Syrien zu flüchten. "Es kommen welche, die erzählen, dass sie keine Arbeit mehr haben, weil der, der demonstriert vom Arbeitsgeber rausgeschmissen wird", berichtet Hallak. Nicht nur vor dem Militär oder den vielen Geheimdiensten haben die Menschen Angst, auch vor der berüchtigten Shabiha-Miliz. "Die dürfen alles machen. Sie erschießen, plündern, misshandeln und vergewaltigen. Viele von ihnen sind Schwerverbrecher, die Anfang März, also noch vor dem Aufstand am 15. März, durch einen Erlass begnadigt wurden", erzählt Hallak.

Für ihn steht fest, dass das syrische Regime und dessen Militär sich schon lange "genau für diese Stunde X", damit meint er den Beginn des Aufstandes, vorbereitet habe. Die Elite um Assad mit seinen Offizieren, Beratern und Clans umfasse schließlich mehr als 10.000 Personen, die ihren Machtapparat und die für sie sehr lukrative Klientelpolitik nicht aufgeben wollen. Daher auch die gewaltsame Unterdrückung der Oppositions- und Protestbewegung. "Denn sonst verliert die Elite alles, die haben Angst um ihre Sessel, genau wie die in der Arabischen Liga."

"Westen schaut zu"

Hallak hat so viel zum Erzählen, er will gar nicht aufhören zu reden. Und je mehr er erzählt, desto bestimmter wird er. Nicht blinder Wut oder Hass spiegeln sich in seinen Worten wider, sondern Entrüstung und Enttäuschung über den Westen, "der zuschaut." Die westliche Berichterstattung über die Lage in Syrien sei katastrophal. "Jeden Tag sterben zwanzig bis vierzig Menschen, tausende Menschen werden vermisst und es wird nicht darüber berichtet", kritisiert Hallak die Medien. Er appelliert daran, den Alltag der Menschen zu berücksichtigen, "damit sie wissen, dass die Welt sie unterstützt." War er anfangs gegen eine Intervention in Syrien, hält er mittlerweile ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft für notwendig, denn "es geht um Leben und Tod."

Freiheit statt Schweigen

Neben der Enttäuschung zeigt Hallak aber auch einen unbändigen Kampfgeist, wenn es darum geht, für die Freiheit zu kämpfen. "Außer den Kundgebungen können wir hier in Österreich nicht viel machen, die Menschen in Syrien aber riskieren ihr Leben", sagt der Medizinalrat aus Wien-Ottakring. Ungefährlich ist es aber auch nicht für regimekritische Exil-Syrer. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete jüngst über die Bedrohung von Exil-Syrern durch die syrische Regierung, deren Botschaftspersonal sich schon mal unter die Menge der demonstrierenden Exil-Syrer mischt und diese filmt oder mit Konsequenzen für die in Syrien lebenden Familien der Betroffenen droht.

Bedroht wurde Ala-Eldine Hallak noch nicht. Gefilmt und fotografiert jedoch schon. Auch gäbe es in Wien regimetreue Beobachter in der syrischen Gemeinde. Hallak jedoch hat keine Angst. "Ich habe dem, der mich fotografierte, meine Visitenkarte gegeben und gesagt, dass er hier alle Informationen über mich hat, aber mir nicht weiter nachstellen soll." Hallak will seine Zeit nicht mit Angst und Vorsicht verschwenden, sondern darüber sprechen, "wie es wirklich dort ist." Die geheime Faustregel unter der syrischen Bevölkerung, dass man außer beim Zahnarzt nirgendwo mehr den Mund aufmachen darf, gilt nicht mehr. (Alkan Güler/daStandard.at/21.10.2011)