Washington/Bagdad/Wien - Die monatelangen Verhandlungen zwischen den USA und dem Irak über den Verbleib zumindest einiger tausend US-Soldaten über den vereinbarten Abzugstermin Ende 2011 hinaus sind gescheitert: Bis auf einige Dutzend Ausbildner - vor allen an von den USA gekauften Waffen - und die Bewachung der US-Botschaft wird die US-Armee zu Jahresende komplett aus dem Irak abziehen, in den sie im März 2003 einmarschiert war, um Saddam Hussein zu stürzen.
Der Komplettabzug ist in einem bilateralen Vertrag, dem „Status of Forces Agreement" (Sofa), vorgesehen, das Präsident Barack Obamas Vorgänger George W. Bush Ende 2008 mit dem Irak abgeschlossen hatte. Das Sofa ließ die Möglichkeit offen, dass die USA auf Ersuchen der irakischen Regierung Soldaten über 2011 hinaus im Land lässt. Obwohl beide Regierungen dazu tendierten, ist das nun an den Modalitäten gescheitert. Obama ist dadurch andererseits im Jahr vor den Präsidentschaftswahlen von dem Makel befreit, US-Soldaten im Irak zu belassen und damit trotz seines Wahlversprechens, den Krieg im Irak zu beenden, nicht einmal die Abzugszusagen der Bush-Regierung einzuhalten.
Die Verlängerung einer US-Restpräsenz scheiterte daran, dass Bagdad der US-Armee nicht die gleichen Immunitäten wie derzeit zubilligen wollte. Darauf stiegen die USA erwartungsgemäß nicht ein. Mit der Bekanntgabe des Abzugs wurde zuletzt gerechnet. Bagdad und Washington versuchten am Freitag, dem Platzen der Gespräche nur positive Seiten abzugewinnen: Vom Beginn neuer Beziehungen mit den USA sprach der irakische Premier Nuri al-Maliki; US-Präsident Barack Obama erklärte den Krieg im Irak für „nach neun Jahren vorbei".
Auch im Irak selbst gibt es starke Zweifel, ob die irakische Armee in der Lage ist, für die innere und äußere Sicherheit des Landes zu sorgen. Zwar ist die Lage, verglichen mit den Bürgerkriegsjahren 2006/2007, viel besser, befriedet ist der Irak dennoch nicht. Mit einem Zuwachs von Attentaten nach dem Abzug der Amerikaner wird gerechnet. Besorgt sind auch die irakischen Kurden, für die die US-Anwesenheit auch eine gewisse Sicherheit in ihrem derzeit wieder sehr angespannten Verhältnis mit Bagdad bedeutete.
Strategisch gesehen bedeutet der Abzug eine Schwächung der USA in der Region - helle Freude darüber wird in Teheran herrschen, das von einer sehr unbequemen Präsenz in der Nachbarschaft befreit wird. Der Iran wird seinen Einfluss im Irak weiter ausdehnen, besonders wenn er mit der Schwächung von Bashar al-Assad in Syrien sinkt. (Gudrun Harrer/DER STANDARD Printausgabe, 22.10.2011)