Ankara - Nach einem schweren Erdbeben im Osten der Türkei sind bis zu tausend Tote befürchtet worden. Schätzungsweise 500 bis tausend Menschen seien bei dem Beben in der Provinz Van getötet worden, sagte der Leiter des Seismologischen Instituts Kandilli, Mustafa Gedik, am Sonntag in Istanbul. Die US-Erdbebenwarte USGS korrigierte die Stärke des Bebens auf 7,2, nachdem es zuvor den Wert 7,3 angegeben hatte.
Am Sonntagabend ereignete sich zudem ein heftiges Nachbeben der Stärke 6,1. Wie die US-Erdbebenwarte mitteilte, war das Epizentrum sechs Kilometer von der Stadt Van entfernt.
Ein türkischer Regierungsvertreter sagte am späten Abend dem Fernsehsender NTV, es seien schon mehr als 70 Leichen geborgen worden. Dem Institut Kandilli zufolge lag das Zentrum dem Bebens 19 Kilometer nordöstlich der Stadt Van in einer Tiefe von 7,2 Kilometern nahe der iranischen Grenze. Das Beben war nach Medienberichten auch in Nachbarprovinzen sowie im Nordwesten des Iran zu spüren. In der mehr als 1.200 Kilometer östlich von Ankara liegenden Stadt Van leben rund 380.000 Menschen.
Panik
Die Erdstöße lösten Panik aus: Fernsehbilder zeigten Bewohner, die im Chaos ihre Häuser verließen sowie mindestens zwei mehrstöckige Häuser, die durch das Beben beschädigt wurden. Vize-Regierungschef Besir Atalay erklärte, um die 40 Gebäude seien eingestürzt, darunter ein Wohnheim. Viele Menschen wurden Medienberichten zufolge verschüttet. Der Bürgermeister von Van, Bekir Kaya, sagte im Fernsehsender NTV, das Telefonnetz sei zusammengebrochen, weshalb niemand erreicht werden könne. Laut Anadolu hielten die Nachbeben an.
Der rote Halbmond mobilisierte Helfer und wollte Zelte ins Krisengebiet bringen. "Es ist ein starkes Erdbeben, das schwere Verwüstungen anrichten kann", sagte der Präsident der Organisation, Lütfi Akan. Auch die Armee sollte eingesetzt werden. Es wurde erwartet, dass der Einbruch der Nacht mit Temperaturen um den Gefrierpunkt den Hilfseinsatz stark behindern würde.
Erdogan will ins Krisengebiet
Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan sagte alle seine Termine ab und wollte sich laut NTV noch am Sonntag ins Erdbebengebiet begeben. Er sollte von mehreren Ministern begleitet werden, darunter dem Gesundheitsminister.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat sich indessen "erschüttert" über das schwere Erdbeben geäußert. Nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Sonntag in Brüssel leitete Van Rompuy seine Pressekonferenz zur Schuldenkrise mit der "Nachricht vom schrecklichen Erdbeben" ein, das die Provinz in der Südosttürkei heimgesucht habe. Seine Gedanken seien bei den Opfern und Familienangehörigen der Katastrophe, so der EU-Ratspräsident.
Internationale Hilfsangebote
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte in einem Beileidstelegramm an Erdogan ihre "Erschütterung". Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bot Ankara deutsche Hilfe an. US-Präsident Barack Obama erklärte, die USA seien "bereit, den türkischen Behörden zu helfen". Auch die NATO und die EU bekundeten ihr Beileid und boten Unterstützung an, ebenso wie Israel, dessen Verhältnis zu der Türkei zurzeit angespannt ist.
Nach dem Erdbeben hat Russland der Regierung in Ankara ebenfalls Hilfe angeboten. Moskau könne innerhalb kurzer Zeit Rettungskräfte mit Suchhunden und schwerer Technik sowie ein mobiles Feldlazarett in die Krisenregion bringen, sagte Präsident Dmitri Medwedew am Sonntag nach Angaben des Kremls in Moskau. Er habe das Zivilschutzministerium beauftragt, zwei Transportmaschinen vom Typ Iljuschin Il-76 abflugbereit zu machen. Sollte Ankara das Angebot annehmen, könne Moskau zusätzlich Psychologen in das Katastrophengebiet bringen, sagte Medwedew. Der Staatschef sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.
In der Türkei sind Erdbeben keine Seltenheit, da das Land auf mehreren Verwerfungslinien liegt. 1999 kamen bei zwei starken Erdbeben im dicht besiedelten Nordwesten der Türkei rund 20.000 Menschen ums Leben. In der Provinz Kutahya starben 1970 mehr als tausend Menschen durch ein Erdbeben. (APA)