In diesem Haus soll es in den 1970er- und 1980er-Jahren, aber auch schon früher zu brutalen Übergriffen und sexuellen Belästigungen an Zöglingen gekommen sein. Nun meldeten sich einige.

Foto: FA11B / Amtmann/ Land Steiermark

Graz/Hartberg - Auch sie sollen geschlagen, getreten, sexuell belästigt und gezwungen worden sein, ihr Erbrochenes aufzuessen: Mindestens fünf erwachsene Männer erheben nun Vorwürfe gegen ein Kinderheim im oststeirischen Hartberg, in dem sie früher leben mussten.

Nur Tage nach den schweren Missbrauchsvorwürfen, die zwei Frauen gegen das frühere Wiener Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg erhoben haben, gibt es nun auch Aufregung um ein steirisches Landesjugendheim.

VP-Ortschef unter Verdacht

Wie die Kleine Zeitung in ihrer Samstagsausgabe berichtete, war es zuerst ein 45-jähriger Mann, Alfred P., der der Zeitung von dem Martyrium, das er erlitten haben soll, erzählt hat. Schon am Erscheinungstag des Artikels meldeten sich weitere Exzöglinge aus dem Heim, die die Vorwürfe von P., der heute in Wien lebt, alle bestätigen.

Besonders unter Druck gerät durch diese Vorwürfe der langjährige Hartberger Bürgermeister Karl Pack (ÖVP), der Leiter des besagten Heimes ist und auch schon früher Erzieher dort war.

P. über Pack: "Der Charlie Pack hat mich vom Badezimmer bis in den Aufenthaltsraum geprügelt. Er hat auf mich eingetreten, immer und immer wieder, weil er mich beim Rauchen erwischt hat."

Pack streitet alle Vorwürfe vehement ab und behauptet, bis zu den Anschuldigungen ein gutes Verhältnis zu Alfred P. gehabt und ihm noch kürzlich Geld geliehen zu haben.

Als Arbeiter ausgenutzt

Alfred P. will aber gerade wegen Pack so lange geschwiegen haben. Das mutmaßliche Opfer P. lebte zwischen 1979 und 1983 im Landesjugendheim, weil er elternlos war. Neben den Misshandlungen will er auch als unbezahlter Arbeiter ausgenutzt worden sein. Unter anderem beim Bau des Privathauses des heutigen Bürgermeisters Pack. Ein Freund von P. wird in der Kleinen Zeitung wie folgt zitiert: "Er wollte schon früher reden, aber ich habe ihm davon abgeraten, weil Pack ein mächtiger Mann ist."

Von einem anderen Erzieher sollen P. und seine Mitzöglinge auch mit Regelmäßigkeit sexuell belästigt worden sein.

Bei der Staatsanwaltschaft erstattete noch keiner der Männer Anzeige. Einer von ihnen ist bereits 68 und will - auch schon lange vor der Zeit Karl Packs - im selben Heim unter schweren Misshandlungen gelitten haben.

Staatsanwaltschaft schaltete sich ein

Nachdem die Vorwürfe am Samstag publik geworden waren, wurde die Staatsanwaltschaft Graz noch am selben Tag von sich aus aktiv. "Wir haben das Landeskriminalamt sofort beauftragt, den Sachverhalt zu erheben", bestätigt Hansjörg Bacher, Sprecher der Staatsanwaltschaft, dem Standard, "der Hauptfokus liegt jetzt einmal auf der Opferbefragung und der Klärung, in welchen Fällen es sich um Verjährung handelt und in welchen Fällen nicht." Von früheren Anzeigen gegen Bürgermeister Pack ist der Staatsanwaltschaft jedenfalls nichts bekannt.

Alfred P., der diese Untersuchungen mit seinem Gang an die Öffentlichkeit nun ins Rollen brachte, hatte angegeben, erst diese Woche erfahren zu haben, dass es in der Steiermark eine Opferschutzkommission gibt, an die man sich wenden kann. In Graz ist das Gewaltschutzzentrum Anlaufstelle für Geschädigte.

Wie der Standard berichtete, wurde für die Aufarbeitung der Fälle im Wiener Kinderheim am Wilhelminenberg, in dem auch Massenvergewaltigungen stattgefunden haben sollen, ein eigenes Gremium eingerichtet. Zur Leiterin der "Kommission Schloss Wilhelminenberg" wurde noch am Freitag die Familienrichterin Barbara Helige eingesetzt, die bis Ende November eine konstituierende Sitzung ansetzen will. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD-Printausgabe, 24.10.2011)