Wien - Es war ein beeindruckendes Finale eines opulenten Gastspiels: Innert sechs Tagen hatte das Gewandhausorchester Leipzig - ein Beethoven-Orchester seit Beethovens Tagen - im Musikverein alle neun Symphonien des Klassikers zur Aufführung gebracht. Riccardo Chailly hatte die strikte Befolgung der zum Teil aberwitzig schnellen Metronomangaben des Komponisten zum zentralen Distinktionsmerkmal dieser auch auf CD festgehaltenen Unternehmung erklärt.

Keine neue Idee: Neben Toscanini und Karajan (in den 60er-Jahren) war in jüngerer Zeit auch der famose John Eliot Gardiner in seiner 1994 erstveröffentlichten Gesamtaufnahme ziemlich nah dran an den originalen Tempi. Revolutionär und romantisch: Dem Namen von Gardiners Orchester schien sich der Gewandhauskapellmeister auch in seiner Interpretation der Neunten verpflichtet gefühlt zu haben.

Denn Chailly und die Seinen musizierten mit Verve, wendig und agil, mit schlankem, durchhörbarem und nichtsdestotrotz sinnlichem Klang, der, wenn nötig, auch Schärfen zuließ: Solcherart konnte die Neunte weniger als Monument denn als quicklebendige, spannende, vielschichtige Emotionserzählung erfahren werden, die nicht nur Funken schlug, sondern final ein Feuer der Begeisterung entfachte.

Zuvor hatte man die Uraufführung von Friedrich Cerhas Paraphrase über den Anfang der 9. Symphonie von Beethoven erleben dürfen. Hohe helle Klangflächen verschiedener Instrumentengruppen waren wie kleine spiegelnde Seen am Eingang des Werks positioniert; in diese warf das Schlagwerk dann und wann werkdominierende Quarten und Quinten. Es folgten Steigerungen der Aktion bis hin zu einer Bataille fast militärischer Art, zwischendurch ließ Melancholie eines Geigensolos kurz Reminiszenzen an die Zweite Wiener Schule anklingen. Schlussendlich sollte das Werk wieder zur statischen Ruhe des Anfangs zurückfinden.

Philharmoniker und Goerne

Die grundsätzlich auch Beethoven-firmen Wiener Philharmoniker hatten am Samstag mit der achten Symphonie des Klassikers etwas weniger Fortune: Dirigent Christoph Eschenbach nahm die Ecksätze verhältnismäßig langsam und presste aus ihnen auch nur eine - an Tuttistellen - dröhnende Opulenz heraus, während der zweite und der dritte Satz (etwa flotter genommen) mit galanter Heiterkeit etwas Belanglos-Routiniertes ausstrahlten.

Auch nicht unbedingt unüberbietbar die elf Gesänge aus Des Knaben Wunderhorn von Mahler. Da dauert es zwei Liedchen, bis sich das Orchester auf den kostbaren Sound von Bariton Matthias Goerne eingestellt hatte. Immerhin: Da und dort (etwa bei Wo die schönen Trompeten blasen) konnte man von sich delikat verschmelzenden Ausdruckswelten sprechen. Wobei Goernes lyrische, klangsensible Linienführung insgesamt, so sie durchdringen konnte, frappierte. (end, tos, DER STANDARD - Printausgabe, 24. Oktober 2011)