Eine der hartnäckigsten Legenden zur Geburt der Währungsunion ist die Behauptung, dass der Euro der Preis der Franzosen für ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung war. Nur weil die Deutschen bereit gewesen seien, die (harte) D-Mark in einen engen Verbund mit einem französischen Partner einzubringen, der in langer Tradition staatlicher Interventionspolitik Abwertungs- und Weichwährungspolitik betrieb, sei es 1991 zum Vertrag von Maastricht gekommen. Und heute zahlten die Deutschen (mit den anderen wirtschaftlich starken Nordländern) die Zeche für die romanischen Schuldenmacher!

Diese Version der Geschichte wird von Euro-Kritikern und EU-Skeptikern oft bemüht, wenn es darum geht zu zeigen, dass die ganze Konstruktion der Währungsunion von Anfang an schief, quasi "ein Diktat" jener gewesen sei, die von niedrigen Zinsen einer harten Währung profitieren wollten; dass die nötigen Milliardenhilfen für die überschuldeten Europartnerländer ein unzumutbares Opfer seien.

Das klingt gut, hat aber einen Nachteil: Es ist historisch schlicht falsch.

Der Euro ist - wie der Binnenmarkt - auch eine zutiefst deutsche Idee und Veranstaltung. Sie wurde bereits von Helmut Schmidt gemeinsam mit Valéry Giscard d'Estaing auf den Weg gebracht. Daran zu erinnern ist in diesen Tagen von großer Bedeutung, wenn die Euro-Staaten sich nun anschicken, sich mit einer (wieder von Deutschland angestoßenen) Initiative zu einem noch tiefer integrierten Euro-Kerneuropa zusammenzuschließen.

Nichts anderes steckt hinter dem Vorhaben von Angela Merkel, den EU-Vertrag neuerlich zu reformieren: Gemeinschaftliche Institutionen wie die EU-Kommission sollen ein direktes Durchgriffsrecht - bis hin zur Gestaltung der Steuerpolitik - erhalten, sofern sich eine Euro-Regierung als zu schwach erweist, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um Gefahren für die ganze Eurozone abzuwenden. Das stößt - auch wenn es länger dauern wird, bis ein Vertrag zustande kommt - die Tür auf zu einer neuen Qualität von europäischer Union - mit nicht allen EU-Mitgliedern.

Der Maastricht-Vertrag wurde zwar erst 1991 - zwei Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer - vereinbart. Er machte aus der früheren Wirtschaftsgemeinschaft (EWG und EG) bekanntlich die Europäische Union (neben der Verankerung des vereinten Deutschlands auch in der Nato).

Richtig ist an den Verschwörungstheorien nur, dass Frankreich, wie einigen anderen EU-Ländern auch, immer bange war, ein wirtschaftlich und politisch derart erstarktes Deutschland könnte es an die Wand drücken.

Aber die Schaffung einer Währungsunion inklusive dem Ziel, ihr auch eine politische Union folgen zu lassen, das hat der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher bereits im Februar 1988 in einem Memorandum vorgeschlagen. Die Idee dazu war nur allzu logisch: Man glaubte, die Währungsunion könne nur funktionieren, wenn auch ein großes Maß an politischer Koordinierung erfolgt.

Die Fortsetzung ist bekannt: Der Euro kam zehn Jahre später, aber die politische Union scheiterte.

Wieder zehn Jahre später scheint es ganz so, dass das deutsch-französische Duo den zweiten Anlauf nimmt zur politischen Union. Die tiefe Krise wirkt wie ein Beschleuniger. Aber anders als 1991 sieht es so aus, als werde sie eine politische Union à la carte. Das ist für kleine Euroländer wie Österreich eine Chance, wenn sie aktiv werden. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 24.10.2011)