"Gerechtigkeit ist eine Sozialschleuder geworden", sagt Rudolf Taschner, "das Wort steht überall". Taschner, Professor für Mathematik und Autor des Buches "Gerechtigkeit siegt - Aber nur im Film", referierte beim Kongress des Dialog Marketing Verbandes Österreich zum Thema "Mathematik und Management." Das plakative Schreien nach "Gerechtigkeit" sei zu einem "Kampfbegriff der politischen Diskussion" geworden, kritisiert er: "Wie eine Göttin, die man anbetet."
"Vom Urbegriff her ist Gerechtigkeit eine Tugend der Menschheit", so der Mathematiker, der sich auf die geistigen Ergüsse Platons bezieht. Der griechische Philosoph verortete Gerechtigkeit bei jenen, die Macht haben. Aufgabe des Staates sei es, die Voraussetzungen für Gerechtigkeit zu schaffen. Dem rechten Maß komme die wichtigste Bedeutung zu. Wie lässt sich das umsetzen? "Geht nicht", sagt Taschner: "Der Staat sind wir alle." Er besteht aus Institutionen, die in Menschenhand sind. Und das "Wir sind alle gleich geschaffen"-Konstrukt aus der Zeit der Aufklärung sei zwar eine schöne Idee, könne aber mit der Realität nicht Schritt halten. "Der Staat ist völlig ungerecht."
Kurven
Zum Beispiel beim Einkommen. Die Schere zwischen den Gehältern gehe tendenziell auf statt zu. Auch die Finanzierung des Pensionssystems laufe aus dem Ruder. Das lässt sich anhand von nackten Zahlen problemlos demonstrieren. Über die Hälfte der Kinder, die jetzt geboren werden, werden über 100 Jahre alt, rechnet er vor. Dass sich das mit der jetzigen Regelung nicht ausgehen kann, sei klar, aber: "Wie bringe ich den Menschen bei, dass eine Anhebung des Pensionsantrittsalters gerecht ist?" Das Problem sei, so Taschner, dass sinnvolle Änderungen länger als eine Legislaturperiode brauchen. Welcher Politiker tut sich das an, wenn er die Früchte seiner Reform nicht mehr selbst ernten kann?
Ähnlich verhält es sich bei Führungskräften. "Die Wirtschaft kann nur in Quartalen denken." Nachhaltige Maßnahmen blieben auf der Strecke. Von "verschiedenen Zeitskalen, die unterschiedlich schnell laufen", spricht Taschner und von einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die ins Kalkül gezogen wird: "Es scheitert an einzelnen Menschen." Letztendlich existiere "kein objektives Maß, um Gerechtigkeit zu messen", resümiert er. Die Sehnsucht danach scheitere an den realen Umsetzungsmöglichkeiten. Was können einzelne tun? Jeder solle sich persönlich fragen: "Bin ich gerecht?" Eine Frage, die mit dem Wissen und Gewissen austariert werden muss. Als Grundlage zum Handeln. (om, derStandard.at, 24.10.2011)