Der Medienkünstler Richard Kriesche ließ das weltweit bekannte Piktogramm "Notausgang" dreidimensional werden: Seit 2006 steht auf dem Hauptplatz von Bruck/Mur ein neun Meter hohes "Fluchtmännchen". Um es demontieren zu können, befragte der Bürgermeister die Bevölkerung. Das Ergebnis fiel erwartungsgemäß aus.

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Fordert von Schmied Kulturpolitik ein: Gabi Gerbasits.

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Die soziale Lage der Künstler habe sich kaum verbessert.

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Kulturpolitisch gibt es derzeit wenig Erbauliches zu vermelden. Der Dachverband Salzburger Kulturstätten beklagte erneut Budgetkürzungen seitens des Landes. In Graz gibt es keine Kontinuität in der politischen Verantwortung: Veronica Kaup-Hasler, Intendantin des Steirischen Herbstes, hatte in den letzten sechs Jahren, wie sie sagt, mit zehn Politikern zu verhandeln.

Und in Bruck an der Mur will man die neun Meter große Skulptur Richard Kriesches vom Hauptplatz verbannen. Der Bürgermeister befragte die Bevölkerung - und 89 Prozent sprachen sich dafür aus. Abgesehen davon, dass Kunst in der Regel nicht mehrheitsfähig ist, wird Demokratie in diesem Falle nur vorgegaukelt. Denn an der Befragung hätten, so Kriesche, nicht einmal drei Prozent der Bevölkerung teilgenommen. Die Skulptur ist aber ein Sinnbild mit hoher Aktualität: ein in der Bewegung erstarrtes Männchen auf der Flucht ins Nirgendwo.

Ziemlich frustriert ist man auch bei der IG Kultur beziehungsweise dem Kulturrat, einem Zusammenschluss der diversen Interessengemeinschaften. Denn "nach sieben schweigsamen Jahren in der Kulturpolitik" - die Ära von Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) - setzte man viel Hoffnung auf Claudia Schmied, die Anfang 2007 zur Kunst- und Kulturministerin (SPÖ) ernannt worden war.

Neun Monate später, im September 2007, musste Gabi Gerbasits, Geschäftsführerin der IG Kultur, feststellen, dass sich nichts geändert hatte: Die Kulturschaffenden würden "erstaunt ins Leere" blicken. Und das tun sie noch heute. Denn einen Dialog zwischen Kulturrat und Schmied gab es bis dato nicht; der Plattform werde, so Gerbasits, immer nur mitgeteilt: "Ministertermine sind aufgrund des dichten Kalenders nur langfristig möglich."

Ende Mai, nach der Klausur am Semmering, gab die Regierung das weitere Programm bekannt; im Bereich Kunst und Kultur wurden lediglich zwei Ziele aufgelistet: die Wiedereröffnungen des 20er-Hauses (als 21er-Haus) und der Kunstkammer. Schmied schickte zwar eine Aussendung hinterdrein ("Bundesregierung arbeitet konsequent an kunst- und kulturpolitischen Zielen"), der IG Kultur aber reichte es: Sie startete im Sommer eine Artikelserie, die "Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik" anbieten wollte.

Marty Huber von der IG Kultur geißelte den "Regierungsfahrplan ins Nirgendwo", der Großteil von Schmieds Maßnahmen vollziehe sich nur "innerhalb einer platten PR-Logik, seien es Preisverleihungen oder Eröffnungsfeste". Der Philosoph Ljubomir Bratic konstatierte "Stillstand"; Schmieds Stärke heiße "vor allem Abwesenheit". Die Kulturwissenschafterin Elisabeth Mayerhofer fragte sich, woher die Angst vieler Kulturpolitiker vor den freien Szenen komme. Und Michael Wimmer, Chef von Educult, konterte mit einer nicht unberechtigten Frage:

"Was aber, wenn die Politik schlicht keine Lust bzw. kein Interesse hat - und daher meint, auf diese Kommunikation verzichten zu können?" Wimmer, der kürzlich unter dem Titel Kultur und Demokratie eine Analyse der Kulturpolitik in Österreich veröffentlichte, nennt ein pikantes Beispiel: Für Regierungsinserate in Tageszeitungen werde mehr Geld ausgegeben als für das gesamte zeitgenössische Kunstschaffen.

Gerhard Ruiss, jahrzehntelang aufmüpfiger Sprecher der IG Autorinnen und Autoren, klingt resigniert: "Die Jahre, in denen mit Kunst und Kultur und für die Kunst und Kultur Politik zu machen war, sind vorbei." Im Gespräch mit dem Standard konkretisiert er: "Die Politik hat sich zum Zaungast der Entwicklungen bei den von ihnen ausgegliederten öffentlichen Einrichtungen gemacht."

Da niemand mehr auf Kultur setze, blieben auch die Kulturkämpfe aus: "Die Vorstellungen, was zu tun sein könnte, reichen über neue Verwaltungsraffinessen und Verteilungsmodalitäten nicht hinaus. Ein paar Verbesserungen wie die Zweijahresvergaben von Förderungen fallen ungerechterweise dabei nicht einmal mehr auf. Ein paar Nachjustierungen bei der Künstlersozialversicherung machen die Überlebensprobleme um kein bisschen kleiner."

Ruiss nennt die vom Kunstministerium initiierten interministeriellen Arbeitsgruppen (Imag): "Herausgekommen ist dabei, dass für Kunst und Kultur auch in anderen Ministerien nichts zu holen ist." Seit 2009 fanden, so Gabi Gerbasits, 53 Sitzungen unter Einbeziehung der IGs zu acht großen Themenkomplexen, u. a. Arbeitslosenversicherung, Steuern, Förderungen und Urheberrecht, statt.

Die Ergebnisse sind in der Tat ernüchternd: Laut IG Kultur gibt es lediglich ein Künstlersozialversicherungsstrukturgesetz, das nicht geeignet sei, die soziale Lage spürbar zu verbessern, und ein Theaterarbeitsgesetz, das manche massiv benachteilige.

Schmied findet den Imag-Prozess dennoch gut: "Er zeigt, dass sich das Kunstministerium als Anwalt der Künstler versteht. Es ist gelungen, für das Thema Kunst die anderen Ressorts und die Beamtenebene zu sensibilisieren." Natürlich gebe es noch viel Arbeit, aber die Probleme könnten eben nur Kooperation mit den anderen Ministerien gelöst werden. Claudia Schmied verspricht: "Wir werden dranbleiben."

Und nun, nach knapp fünf Jahren im Amt, wird sie auch den Kulturrat empfangen. Am 11. November. Faschingsbeginn. (trenk, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Oktober 2011)