Zürich - Der Preisdruck im Gesundheitswesen zwingt den Schweizer Pharmariesen Novartis zum Sparen. Konzernchef Joseph Jimenez kündigte am Dienstag die Streichung von weiteren 2.000 Stellen an und will zudem Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagern. Für die Pharmabranche, die unter staatlichen Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem und der Konkurrenz durch billigere Nachahmermedikamente leidet, ist die Ankündigung des Novartis-Chefs ein weitere Rückschlag. Eine Trendwende ist laut Jimenez nicht in Sicht: "Mit Blick auf die nächsten zwei bis drei Jahre denke ich nicht, dass sich die Rahmenbedingungen wesentlich verbessern", warnte er. "Ich denke, wir werden weitere Preisreduktionen sehen."
Damit kürzt gerade eine Firma massiv Arbeitsplätze, die zu den forschungsstärksten Unternehmen der Welt gehört. 2010 gab Novartis neun Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung (F&E) aus.
Novartis steuerte bisher deutlich besser durch die Pharmakrise als viele Konkurrenten, da der Baseler Konzern zahlreiche neue Medikamente auf den Markt brachte. Damit könne das Unternehmen die tieferen Medikamentenpreise aber nur teilweise auffangen, erklärte Jimenez. Deshalb müsse Novartis seine Produktivität erhöhen. Auch der starke Franken, der die Kosten für viele Schweizer Unternehmen nach oben treibt, spiele eine Rolle, sei aber nicht ausschlaggebend.
Auch Bayer und Roche kürzen Arbeitsplätze
Novartis befindet sich mit seinem Sparpaket in prominenter Gesellschaft. Stadtrivale Roche hat bereits vor knapp einem Jahr den Abbau von 4.800 Stellen angekündigt, der deutschen Branchenprimus Bayer streicht 4.500 Arbeitsplätze.
Bei Novartis waren bereits im März 500 Arbeitsplätze in Großbritannien weggefallen, in den nächsten drei bis fünf Jahren will Firmenchef Jimenez nun vor allem in der Schweiz und den USA schrumpfen. 1.100 Stellen will der Manager alleine in der Schweiz streichen, wo eine Produktion in Nyon und eine Chemieanlage in Basel geschlossen werden. Zudem verlegt er Teile der Forschung von der Schweiz in die USA. Parallel will Jimenez vor allem in Niedriglohnländern rund 700 neue Posten schaffen. Die Maßnahmen, mit denen der Arzneimittelhersteller jährlich über 200 Mio. Dollar (144 Mio. Euro) einsparen will, werden im vierten Quartal jedoch zunächst rund 300 Mio. Dollar kosten. Weltweit beschäftigt Novartis derzeit rund 121.000 Mitarbeiter.
Gewerkschaften verärgert
Mit Empörung reagierten Schweizer Personalverbände und Gewerkschaften am Dienstag auf die geplanten Personaleinsparungen in der Schweiz. Vom Ausmaß des Abbaus sind der Verband Angestellte Schweiz und der Novartis Angestelltenverband NAV laut einer gemeinsamen Aussendung "schockiert und zutiefst betroffen". Der Marktdruck habe zwar langfristig Maßnahmen erwarten lassen, doch 8 bis 10 Prozent des Personals in der Schweiz zu streichen sei "eine Überreaktion". Die Gewerkschaften Unia und Syna meinten, Profite zulasten von Angestellten und des Staates zu maximieren sei inakzeptabel. Beide Organisationen fordern einen Verzicht auf den Abbau respektive auf Kündigungen. Die Syna ruft die Politik auf, sich für den Chemie/ Pharma-Werkplatz Schweiz einzusetzen. Die Basel-städtische Regierung ist beunruhigt, dass auch in der zukunftsrelevanten Forschung abgebaut werden soll. Die Waadtländer Regierung will die in Nyon bedrohten 320 Stellen ebenfalls nicht kampflos abschreiben; sie verlangt ein sofortiges Gespräch mit der Novartis-Chefetage.
Ein Blick auf die Quartalszahlen von Novartis zeigt, dass der Konzern trotz pessimistischer Töne deutlich besser dasteht als viele Konkurrenten. Im Gegensatz zu US-Konzernen wie Eli Lilly oder Johnson & Johnson , die im dritten Quartal einen Gewinnrückgang erlitten, kletterte das Ergebnis von Novartis unter dem Strich um sieben Prozent auf 2,49 Mrd. Dollar. Bereinigt um Sonderfaktoren fuhr der Konzern sogar ein Gewinnplus von zwölf Prozent auf 3,54 Mrd. ein. Damit lag Novartis im Rahmen der Markterwartungen.
Zahlen gut
Beim Umsatz ist Novartis nun etwas zuversichtlicher als zuletzt und rechnet währungsbereinigt mit einem Anstieg der Verkaufserlöse um einen niedrigen zweistelligen Prozentbetrag. Wie bisher wird dabei ein Anstieg der der operativen Gewinnmarge in Aussicht gestellt - 2010 lag sie bei 27,7 Prozent.
Von Juli bis Ende September kletterten die Erlöse währungsbereinigt um zwölf Prozent auf 14,84 Mrd. Dollar. Die wichtigste Sparte mit verschreibungspflichtigen Medikamenten wuchs um drei Prozent auf 8,16 Mrd. Dollar. Kräftige Zuwächse verbuchte der Konzern dabei vor allem mit neu auf den Markt gebrachten Präparaten wie dem Krebsmedikament Afinitor oder der Tablette Gilenya gegen Multiple Sklerose, die zusammen bereits ein Viertel zum Umsatz beitrugen.
An der Börse überzeugte der Konzern mit den Zahlen und seinem Sparprogramm jedoch nicht. Novartis-Aktien fielen um 2,4 Prozent auf 50,55 Franken und schnitten damit deutlich schlechter ab als andere europäischen Gesundheitswerte. Viele Anleger würden nach der jüngsten Kursrally - die Titel haben seit Mitte August rund ein Viertel an Wert gewonnen - Gewinne einstreichen, sagte ein Händler. Auch die sich abzeichnende Verzögerung des neuen Lungenmedikaments NVA237 in den USA drückte bei vielen Investoren auf die Stimmung. (APA/red)