Der Staatstrojaner unter der virtuellen Lupe.

Grafik: Chaos Computer Club

Dem Chaos Computer Club (CCC) ist eine "noch fast fabrikneue" Version des umstrittenen Staatstrojaners zugespielt worden. Eine Analyse des Programmcodes habe ergeben, dass die Spionage-Software weiterhin für rechtswidrige Aktionen eingesetzt werden könne, erklärte der Club. Der Trojaner entspreche "wie seine Vorgängervarianten in keiner Weise dem Stand der Technik" und enthalte "weiterhin die grundgesetzbrechende Funktion zum Nachladen beliebiger Erweiterungen". "Entgegen aller Beteuerungen der Verantwortlichen kann der Trojaner weiterhin gekapert und beliebiger Code nachgeladen werden", sagte ein Sprecher des CCC der Nachrichtenagentur dpa.

Argumente

In der ersten Runde der Auseinandersetzung um den Staatstrojaner hatten das deutsche Innenministerium und das Bundeskriminalamt den Einsatz der Software verteidigt. "Die Überwachung der Telekommunikation beziehungsweise die Maßnahmen der Online-Durchsuchung sind kriminalistisch unverzichtbar, wenn das Internet als Tatmittel für schwere und schwerste Kriminalität eingesetzt wird", sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, vor einer Woche vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Die Kritik des CCC, der Trojaner könne manipuliert und rechtswidrig eingesetzt werden, wies Ziercke unter anderem mit dem Hinweis zurück, der Club habe eine "ca. drei Jahre alte Version der Software (analysiert), die das BKA nicht eingesetzt hat."

Der Chaos Computer Club veröffentlichte nun die Analyse einer neuen Variante des Staatstrojaners (Version 3.6.44 vom Dezember 2010), die ebenfalls von der hessischen Firma Digitask entwickelt wurde. Die umstrittene Funktion des Trojaners, auch Bildschirmfotos (Screenshots) von dem ausgespähten Rechner anzufertigen, wurde in dieser Version entfernt. "Die verfassungswidrige Nachladefunktion steht jedoch weiterhin scheunentorweit offen", erklärte der CCC. "Dies bedeutet, dass unbefugten Dritten vom spukhaften Fernlöschen von Dateien bis hin zur akustischen Raumüberwachung genauso viele Möglichkeiten geboten werden, wie den ermittelnden Beamten und ihren von Unkenntnis der technischen Sachlage geplagten Vorgesetzten."

Kritik

Der Club-Sprecher forderte die Ermittlungsbehörden auf, auf den Einsatz von Trojanern zu verzichten und die Quellcodes der eingesetzten Programme sowie die Prüfprotokolle der Trojaner-Einsätze zu veröffentlichen. "Bei einer staatlichen Infiltration eines Rechners muss unwiderruflich die Möglichkeit erlöschen, Daten von der Festplatte des infiltrierten Systems gerichtlich zu verwerten", verlangte der CCC.

Das BKA hatte in der Debatte um den Einsatz der Staatstrojaner bestritten, dass die eingesetzte Überwachungssoftware über eine "rechtswidrige Nachladefunktion verfügt, mit der beliebige Schadmodule nachgeladen werden". Die Updatefunktion des Programms werde allein zur Aktualisierung verwendet. Bei einem Update der Internet-Telefonie-Software Skype müsse auch die Überwachungssoftware angepasst werden, "da ansonsten die Kommunikation nicht mehr aufgezeichnet werden kann". Dieser Darstellung widerspricht der Chaos Computer Club nun: "Der CCC konnte sein selbstgeschriebenes Trojaner-Steuerprogramm in nur wenigen Stunden anpassen, die Schadsoftware weiterhin steuern und Code auf den Opfer-Rechner nachladen."

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte angekündigt, der Bund werde ein eigenes Kompetenzzentrum zur Entwicklung von Software für Internetüberwachung einrichten. Die Bundesländer seien eingeladen, sich daran zu beteiligen. Darüber hinaus soll bis zur nächsten Innenministerkonferenz ein Vorschlag für ein Expertengremium vorgelegt werden, das die bisher benutzte Software von privaten Anbietern überprüft und zertifiziert.

Ein Sprecher der Firma Digitask sagte der dpa, er könne noch nicht beurteilen, ob die vom CCC analysierte Software tatsächlich von Digitask stamme. Generell liefere das Unternehmen das, was die Behörden auf der Grundlage geltender Gesetze bestellen. Für den konkreten Einsatz der Software seien die Behörden selbst verantwortlich.

Digitask bestätigte auch Lieferungen nach Österreich. Aus dem Wiener Innenministerium hieß es, die Exekutive wende nur jene Befugnisse an, die rechtlich zulässig seien. (APA)