Einer von 80.000 Bewohnern der Karibikinsel Providencia. Die Mehrzahl freut sich über den Etappensieg gegen Umweltzerstörung.

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Eine Viertelstunde nach dem Start der Propellermaschine rückt eine grüne, fast runde Insel in das Blickfeld. Wie eine Halskette legt sich ein Korallenriff um das Ziel Providencia. Vom Eiland in der westlichen Karibik erstreckt sich das Riff weiter gen Norden, mit 32 Kilometern ist es eines der längsten der Welt.

Wenig später ist Old Town, das Verwaltungszentrum von Providencia, erreicht. Vom Hotel in traditioneller Holzbauweise, das malerisch an einem Hang liegt, sind es zu Fuß zehn Minuten bis zum Hafen. Segelschiffe liegen vor Anker, Reggae plätschert aus einem Lokal. Davor steht der Fischer Raul Howard, Ende vierzig, und brummt in breitem Englisch-Kreol: "Wir wollen hier kein Desaster wie im Golf von Mexiko."

Howard und die anderen 5000 Inselbewohner können aufatmen: Anfang Oktober wartete der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos bei seinem Besuch auf der Nachbarinsel San Andrés mit einer Überraschung auf. Um den Archipel herum, ein auch international geschätztes Taucherparadies, soll es nun doch keine Suche nach Öl und Gas geben, geschweige denn eine Tiefseeförderung.

"Noch nicht zurücklehnen"

"Das hier ist ein Biosphärenreservat, ein zu wichtiges ökologisches, soziales und kulturelles Erbe, um irgendein Risiko einzugehen"  sagte Santos. Im Publikum war der Beifall erstaunlich verhalten - manch ein Lokalpolitiker hatte sich schon auf gute Geschäfte mit den Multis gefreut.

Für die lokale Protestbewegung und jene auf dem kolumbianischen Festland ist die Ankündigung ein Triumph. "Wir sind begeistert, können uns aber noch nicht zurücklehnen", sagt Elisabeth Taylor Jay. Die Biologin leitet die örtliche Umweltbehörde Coralina, die über den Schutz des Meeresreservats wacht. "Wir haben nichts Schriftliches, und unsere Klage ist auch nicht entschieden."

Seit Februar strengt Coralina einen Prozess gegen die staatliche Erdölagentur an. Die hatte vorher den Archipel in 14 Blöcke aufgeteilt. Zwei hat sie dem spanischen Multi Repsol, seiner Tochter YPF aus Argentinien und dem kolumbianischen Staatsbetrieb Ecopetrol zugewiesen - "ohne die Bevölkerung zu fragen, wie es die Verfassung vorschreibt", sagt Taylor.

Erdölvorkommen machen Regierung gierig

Auch eigene und internationale Umweltnormen waren der kolumbianischen Regierung egal - immerhin ist das gut 300.000 km2 große Gebiet zwischen Nicaragua und Jamaika, das etwa ein Zehntel der Karibischen See ausmacht, bereits seit elf Jahren Unesco-Biosphärenreservat. Noch vor seinem Abtritt im August letzten Jahres hatte Santos' Vorgänger Álvaro Uribe in einer großen "Kolumbien-Runde" die Erdölvorkommen des Landes feilbieten lassen.

San Andrés ist beliebtes Urlaubsziel vor allem für Kolumbianer und platzt mit seinen 80.000 Einwohnern aus allen Nähten. Das 80 km nördlich gelegene Providencia dagegen ist bis heute ein Geheimtipp geblieben. An den kleinen Stränden geht es karibisch-lässig zu. Die 17 Kilometer lange Straße, die einmal rund um die Insel führt, soll erneuert werden, aber so, dass sie die alljährlichen Massenwanderungen der Krebse nicht beeinträchtigt.

Hier reden die meisten Kinder noch kreolisches Englisch - ein Erbe der Kolonialzeit, als puritanische Siedler, Sklaven und Piraten wie der berühmte Henry Morgan "Old Providence" bevölkerten. Heute ist die afrokaribische Community besonders selbstbewusst und führt den Widerstand gegen die Multis an: Handgemalte Protestplakate zieren Busse, Häuserwände und Schaufenster.

Die Fischer und all jene, die vom Tourismus leben, sind besonders gut organisiert. "Kein Öl der Welt kann die Riffe, die Fische und die Vögel ersetzen", sagt Antonio Bryan (74), ein ehemaliger Seemann, dem jetzt einige Unterkünfte an der Westküste gehören. "Die Ölwirtschaft bringt vorübergehend Jobs, doch unsere jungen Leute brauchen eine dauerhafte Perspektive"

Ökotourismus als Perspektive

Ein paar Häuser weiter wohnt Germán Márquez, einer der wenigen Zugereisten vom Festland. Früher hat der Ökologe der Universität von Bogotá in Kolumbien die Verwüstungen der Ölförderung erlebt - ihm graut vor Korruption, Gewalt, Prostitution: "In jenen Gebieten gibt es kein Halten mehr, auf jeden Job kommen zehn Arbeitslose. Unsere Zukunft liegt im Wissenschafts-, Öko- und Bildungstourismus", meint der Wissenschafter. "Wir brauchen keine neue Infrastruktur, wir sollten die bestehende besser nutzen."

Präsident Santos und die Chefs großer Hotelketten sehen das nicht ganz so - sie möchten die Inseln in Luxusresorts verwandeln.

Gegen solche Pläne ist June Marie Mow schon vor 15 Jahren auf die Barrikaden gegangen. Damals war die Meeresbiologin afrochinesischer Abstammung, die in Kiel studiert und in Karlsruhe promoviert hat, Coralina-Chefin. Dass die Ölmultis jetzt ihre Ambitionen aufgegeben haben, kann sie sich nicht vorstellen: "Wir haben jetzt Zeit gewonnen, um über eine längerfristige Strategie nachzudenken." (Gerhard Dilger aus Providencia, DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)