Wien in Schwarz, München in Weiß: Das Roller Derby im Prater ist keine Piepsi-Veranstaltung, sondern ein beinharter Kampf zwischen zwei Teams mit zehn Sportlerinnen.

Foto: Standard/Christian Fischer

Wien - "Back Block!" - der Schiedsrichter pfeift ab und Zandy Zunder, die "Jammerin" der "Vienna Oi! Star Roller Girls", bremst vor der Strafbank ab. Dass sie beim Versuch, den Block der "Munich Rolling Rebels" zu durchbrechen, eine der Gegnerinnen von hinten geschubst hat, ist trotz des dichten Pulks der Roller-Derby-Spielerinnen nicht unbemerkt geblieben - eine Zweiminutenstrafe muss sie nun absitzen.

Die Runde auf dem Flat Track in der Sporthalle im Prater geht derweil ohne die Punktemacherin der Wienerinnen weiter. Beim ersten Anpfiff starten je vier Spielerinnen der zwei Mannschaften, das sogenannte Pack, im Block auf der mit Paketklebeband markierten 17 mal 30 Meter großen Bahn. Ein paar Sekunden später kommt der zweite Pfiff, dann legen die beiden Spielerinnen los, die durch einen Stern auf dem Helm als "Jammerinnen" gekennzeichnet sind. Sie müssen den Block durchbrechen, die Erste, die sich durch die gegnerische Mauer schlängelt und rempelt, kann zwei Minuten lang punkten, je mehr Gegnerinnen sie überholt, umso mehr Punkte bekommt das Team.

Für Zuschauer, die zum ersten Mal beim Roller Derby sind, wird schnell klar, dass der aus den USA stammende Sport nichts für Wehleidige ist. Blaue Flecken können sich manchmal über den ganzen Oberschenkel ziehen, auch Prellungen gibt's immer wieder. Frauen, die bereits bei einem abgebrochenen Fingernagel an die Grenze ihrer Belastbarkeit stoßen, sind nicht geeignet.

Abgerissene Puppenköpfe

Die Sportlerinnen müssen austeilen und einstecken können - oder wie es eine amerikanische Spielerin auf ihrer Myspace-Seite formuliert: "Roller Derby ist ein Sport für Frauen, die schon als Mädchen gerne ihren Puppen die Köpfe abgerissen haben."

Die Spielerinnen schenken einander tatsächlich nichts, sie rempeln, drängeln und blocken und machen auf ihren Rollschuhen ordentlich Tempo. Da genügt schon ein leichter Stoß mit der Schulter und die Gegnerin liegt auf der Bahn.

"Man darf keine Angst vor Schmerzen und vorm Hinfallen haben, auch Beleidigungen muss man aushalten", sagt Zandy Zunder, die außerhalb der Bahn Sandra Laube heißt. Obwohl, außerhalb gibt es für sie eigentlich nicht. "Roller Derby ist mehr als Fitness, es ist ein Lebensgefühl", beschreibt sie ihre Leidenschaft für den Vollkontaktsport auf Rollschuhen, den sie seit mehreren Jahren ausübt.

Die Sozialpädagogin mit dem schwarzen Pagenkopf ist erst vor ein paar Wochen aus Berlin, wo sie für die "Berlin Bombshells" gefahren ist, zu ihrem Freund nach Wien übersiedelt. "Hätte es hier kein Team gegeben, wäre ich nicht hergezogen", sagt Laube. Jetzt trainiert sie zweimal in der Woche die Vienna Roller Girls, ein junges Team, das es erst vor einem Dreivierteljahr gegründet wurde - die erste Mannschaft in Österreich überhaupt.

Eine gewisse Theatralik gehört untrennbar dazu. Kniepads, Handgelenk- und Ellbogenschoner sowie Helm und Mundschutz sind Pflicht. Einige tragen Kriegsbemalung im Gesicht, man sieht viele Tattoos und Piercings, einige tragen beim Wettkampf schwarze Strümpfe mit breiten Laufmaschen oder Overknees mit Totenköpfen zu ihren Shorts.

Der Nom de guerre ist ein wichtiger Teil des Alter Egos, in das eine Spielerin schlüpft wie in ihre Rollschuhe. Die Kampfnamen sind fantasievoll und stellen klar, dass es keine Piepsi-Veranstaltung ist: Anne Headaway, Beastie Toy, Malice Munro, Zandy Zunder, Pushing Daisy und Suelateral Damage meinen es ernst.

Den Film Whip It, das Regiedebüt von Drew Barrymore, in dem Ellen Page und Juliette Lewis Roller-Derby-Kontrahentinnen spielen, haben fast alle schon gesehen. "Lustig, aber nicht sehr realistisch", findet Susi Lindlbauer alias Suelateral Damage. Den Gegnerinnen ins Gesicht zu schlagen oder sie mit den Händen von der Bahn zu stoßen seien klare Fouls, die bei echten Bewerben niemals durchgehen würden. Lindlbauer ist eine der Gründerinnen der Vienna Roller Girls, das Team hat derzeit 15 Spielerinnen. Auf Youtube ist die Studentin auf Videos aus den USA gestoßen. "Ab diesem Moment war mir klar: Das möchte ich auch machen", erinnert sie sich.

Schiedsrichter gesucht

Einfach sei es nicht, den Sport hierzulande auszuüben, erzählt die 25-Jährige. Es gibt in Österreich kein Geschäft, das Derby-Rollschuhe, die nicht über die Knöchel gehen dürfen, im Sortiment hat, Schiedsrichter werden ebenso gesucht wie eine Trainingsmöglichkeit, die weniger als 30 Euro pro Stunde kostet. Der Zusammenhalt unter den Frauen ist groß. "Es war keine Frage, dass die Münchnerinnen bei uns übernachten", erzählt Lindlbauer, die derzeit ein Praktikum in München macht und bei den Rolling Rebels trainiert.

Aber ab dem Moment, wo die Teams auf den Roller-Derby-Track rollen, ist Schluss mit der Schwesterlichkeit. Während der zweimal 30 Minuten, die ein Wettkampf dauert, schenken die Teams einander nichts. Die Wienerinnen gewinnen schließlich haushoch mit 108:46 Punkten. Und Suelateral Damage wird wieder zu Susi Lindlbauer, die nach dem Abpfiff die Arme in die Höhe reißt und ruft: "Es macht einfach nur Spaß". (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD Printausgabe 27.10.2011)