
Friederike Roths "Lebenstanz" wird ab 27.10. im Wiener Josefstadt-Theater (19.30 Uhr) mit Strindberg verknüpft. Die Autorin findet, ihr Stück sei im Vergleich mit Strindberg "geradezu human".
Roth, geboren 1948, lebt in Stuttgart. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bachmann- und den Gerhart-Hauptmann-Preis.
Mit Ronald Pohl sprach sie über die Freiheit des Schreibens und die Mühsal der Existenz.
Seit Mitte der 1990er-Jahre war es still geworden um die Stuttgarter Suhrkamp-Autorin Friederike Roth. Die vormalige Bachmann-Preisträgerin, die sich als Hörfunkdramaturgin beim SWR sehr bewusst für die Option eines Brotberufs entschieden hatte, suchte Distanz zum Literaturbetrieb: "Die Bücher, die landauf, landab erschienen, missfielen mir immer mehr. Warum sollte ich mich da mit neuen Titeln in den Betrieb hineindrängen?" In Gestalt des Kölner Regisseurs Günther Krämer besitzt Roth aber einen Mentor, der nun ihr Stück Lebenstanz, im Verein mit August Strindbergs Todestanz, zur Uraufführung bringt.
Geschildert werden namenlose Gespenster: gestürzte Personen, die den Schock ihrer Hinfälligkeit zu fassen suchen in einem "neuen Universum aus Sehschärfeneubestimmungen". Premiere ist am 27.10. im Wiener Josefstadt-Theater.
Standard: Ihr Stück erscheint wie ein Kommentar zu Ihrer "Abendlandnovelle", mit der Sie 2010 ein viele Jahre währendes Schweigen brachen. Es hat den Anschein, als ob Sie darin den Kampf mit dem Skandal der verrinnenden Zeit, der Unabwendbarkeit des Todes aufgenommen hätten. Inwieweit gehören diese Arbeiten zusammen?
Roth: Mit Sicherheit hat das, was mir in den vergangenen Jahren an Lebens-, an Leiderfahrung passiert ist, für beide Texte die Voraussetzung gebildet, ohne dass sie deshalb auch schon autobiografisch zu nennen wären. Die Gestimmtheit war für beide die identische. Ich bin ohnehin eine unordentliche Schreiberin, was die Einhaltung der Kategorien Lyrik, Prosa oder Drama betrifft. Ich komme mit diesen Schubladen einfach nicht klar. Auch nicht mit den Kategorien realistisch, naturalistisch, sprachspielerisch oder experimentell. Mir passiert es einfach beim Schreiben, dass sich die Sätze selbstständig machen. Bei bester Absicht tun sie mit einem, was sie wollen. Und zwar so, dass ich gemerkt habe, dass viel Sprachmaterial dialogisch war: darunter Gehörtes, Erfundenes, Gesammeltes.
Standard: Sie organisieren dieses Material nachträglich?
Roth: Ich bin eine sehr ungünstige Schreiberin.
Standard: Eine Materialvernichterin?
Roth: Furchtbar. Ich koche ein bis zum Gehtnichtmehr. Bei einigem war ich mir sicher: Das läuft auf ein Stück zu. Bei der Abendlandnovelle habe ich die Thematik "Anfang-Ende-was-ist-eigentlich-dazwischen?" ausfindig gemacht. Anfangen ist ein altes Problem, aufhören auch. Aber was ist mit dem Dazwischen? Die Frage lautete: Was könnte es geben, das nicht von vornherein Déjà-vu-Charakter hat? Etwas, das einen nicht an etwas anderes erinnert? Da kam mir die fatale Erkenntnis: Wenn das Gedächtnis nicht mehr funktioniert, kommt einem möglicherweise alles wieder neu vor. Vielleicht ist also der Preis dafür, kein Déjà-vu mehr erleben zu müssen, der Gedächtnisverlust. Das ist natürlich fatal, denn das meint den dementen Zustand.
Standard: Ist nicht überhaupt die Demenzangst ein realer Schrecken in unserer Gesellschaft?
Roth: Demenz, Parkinson, Alzheimer. Diese Angst existiert völlig zu Recht, denn dank des medizinischen Fortschritts werden wir ja immer älter. Man muss aber auch positiv denken: Die neurologischen Ausfälle werden in einem Ausmaß zunehmen, dass die Forschung gezwungen ist, medikamentöse Lösungen zu finden. Dahinter steht dann schlichter ökonomischer Zwang.
Standard: Die Offenheit Ihrer Texte lässt sich auch allgemeiner fassen: Ihre Dichtungen wechseln unentwegt den Aggregatzustand, es sind Traktakte und zugleich lyrische Gebilde. Man sieht der Poesie förmlich beim Denken zu.
Roth: Das war die Schwierigkeit der Arbeit an diesem Ding. Ich habe ja keinen Gegenstand, über den ich schreibe. Im Schreiben entwickelt sich der Gegenstand des Schreibens durch das Schreiben. Gleichzeitig sollte es eben nicht "konkrete Poesie" werden, reines Lautspiel. Ich wollte etwas mitteilen, was man gar nicht mitteilen kann, sondern das sich erst beim Schreiben einstellt. Ist ja auch eine Idioten-Sisyphos-Arbeit: etwas leisten zu wollen, was nicht leistbar ist.
Standard: Beschreibt Strindberg im "Todestanz", diesem Urtext des modernen Ehedramas, nicht eine andere Sisyphos-Arbeit? Die schlechte Ewigkeit zu Lebzeiten, das ist die Ehehölle von Alice und Edgar.
Roth: Das Fazit: Durchstreichen und Weitermachen, das ist in der Tat geradezu höllisch. Dagegen ist mein Stück doch geradezu human. Obwohl ich davon inzwischen auch nicht mehr so recht überzeugt bin.
Standard: Besteht der "Skandal" Ihrer Texte nicht eigentlich darin, dass Sie sich gegen die Gegebenheiten des Lebens auflehnen?
Roth: Das ist wohl wahr. Das inzwischen virulente Thema Privatheit/Öffentlichkeit hat sich komplett verkehrt. Der Skandal liegt doch eher darin, dass es keiner bemerkt. Der Alltag, die Lebensabsprachen werden einem doch allesamt übergestülpt und oktroyiert. Ich wundere mich ja selbst, dass sich die Autorinnen und Autoren nicht stärker gegen die verordneten Zwänge auflehnen.
Standard: Sie meinen Phänomene wie die Verbotskultur, die Gesundheitsgebote, den Fitness- und Selbstoptimierungszwang?
Roth: Es ist ja auch alles verlogen. Dazu werden uns unentwegt Schuldgefühle eingeredet, wenn wir nicht funktionieren. Wir sollen einerseits um keinen Preis auffallen durch den Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen. Leben ist, um nicht aufzufallen, unendlich kompliziert. Nur am Schluss wird man alleingelassen. Der Tod geht keinen etwas an. Am besten wäre es wahrscheinlich, man löste sich sang- und klanglos in ein Gar-Nichts auf. Wir sollen Individuen werden, sein und auch bleiben, und zwar deutlich voneinander unterschiedene. Dabei dürfen wir aber nicht ausscheren. Wie soll man das hinkriegen, ohne dabei zerrissen zu werden? (DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)