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Ein deutsch-österreichische Freundschaft: "Der Wimbledon-Sieg mit Jürgen war das Größte", sagt Philipp Petzschner (l.)

Foto: AP/Grant

Wien - Im Wien des Jahres 2011 gab es nichts zu feiern für Philipp Petzschner. Nicht nur weil er vom Argentinier Del Potro früh im Einzelbewerb geputzt wurde, sondern auch weil er mit seinem Doppelpartner Jürgen Melzer in der ersten Runde die Segel streichen musste. Übrigens auch wegen Del Potro. Niederlagen stehen für die deutsch-österreichische Paarung aber nicht auf der Tagesordnung: "Wenn wir ernst spielen und gewinnen wollen, dann spielen wir zusammen", sagt der 27-Jährige Deutsche im Gespräch mit derStandard.at.

Wien ist nach dem 4:6, 2:6 gegen die Paarung Stepanek/Del Potro zwar abgehakt ("Die haben fast jeden Ball getroffen. Das bessere Doppel hat gewonnen"), aber es gibt ja noch andere, wichtigere Turniere. Zum Beispiel Grand Slams. Petzschner hat an der Seite von Melzer 2010 Wimbledon und heuer die US Open gewonnen. Den Titel auf dem heiligen Rasen steht über allem. "Ich würde den Doppel-Sieg nicht einmal gegen ein Finale im Einzel bei einem Grand Slam-Turnier eintauschen. Du stehst auf der Wandtafel. Jürgen war der erste Österreicher, ich der zweite Deutsche der Wimbledon im Doppel gewonnen hat. Wahnsinn, was für eine Leistung."

Lieber Doppel als Training

Medial findet das Doppel trotzdem kaum statt, manche Kritiker fragen sich, warum Jürgen Melzer überhaupt Doppel spielt und sich nicht voll auf den Single-Bewerb konzentriert. So wie viele Spieler unter den Top 20 der Weltrangliste. Freilich rollt im Erfolgsfall auch im Doppel der Rubel. Petzschner und Melzer haben fünf Doppeltitel zu Buche stehen, die den beiden jeweils knapp 350.000 Euro gebracht haben. In der Weltrangliste stehen sie im Doubles-Ranking auf Platz neun bzw. 11. Im Einzel gibt es viel mehr zu verdienen, aber man spiele ja für die Erlebnisse, "Siege in Wimbledon und New York kann man nicht mit Geld aufwiegen."

Philipp Petzschner und Jürgen Melzer sind sehr gut befreundet, gehen sich aber nicht auf die Nerven. Die beiden spielen gemeinsam je nach Lust acht bis zehn Turniere pro Jahr, der Einzelkarriere sei das nicht abträglich. Im Gegenteil. "Bei Turnieren ist es sehr angenehm, vor dem ersten Einzel ein Doppel zu spielen um sich an die Bedingungen zu gewöhnen", sagt Petzschner. Der Spassfaktor sei auch höher als beim einfachen Training. "Mir ist ein Doppel lieber als eineinhalb Stunden Training. Das macht auch von der Anstrengung keinen Unterschied."

Eine Reizfigur

Wobei Training sowieso kein Muss für den Deutschen ist. Petzschner ist bekannt dafür, dass er jahrelang sorglos mit seinem großen Talent umging. Seine Einstellung ähnelte eher einem Surfprofi als einem Tennisspieler. "Ich stehe dazu: Ich werde nie ein Profi wie aus dem Buch sein, wenn auf dem Buch steht: Intensität und Trainingseifer", zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Ich versuche es mit weniger Aufwand als die anderen." Manchmal spielt er lieber Golf als Tennis und taucht auch schon mal für ein paar Tage ab zum Surfen oder Chillen.

Für Aufregung sorgte Petzschner auch bei den heurigen US Open im Doppelfinale als er einen Ball mit dem Schienbein spielte: Ein kurioser Punktgewinn, der für das österreichisch-deutsche Duo beim Stand von 2:2 und 30:30 im zweiten Satz die Weichen zum US-Open-Sieg stellte. Den Vorwurf, dass er unsportlich gewesen wäre und die Beinberührung nicht zugegeben hätte, will sich der Deutsche nicht gefallen lassen: "Ich bin in dem Moment nicht danach gefragt worden und hätte es auch nicht beantworten können. Wenn man den Ball bei der Geschwindigkeit gegen das Schienbein bekommt, ist das genau das gleiche Gefühl wie am Schläger. Es war einfach ein Reflex, ich kann nichts dafür." Nachher beim Videostudium wäre die Sache sonnenklar gewesen.

Petzschner steht derzeit in der Weltrangliste im Einzel auf Platz 67. Potenzial hätte er für die Top Ten, sagt Boris Becker. Ob das Doppel der Bewerb der gescheiterten Einzelspieler ist? Petzschner: "Natürlich nicht. Nützt Du Dein Potenzial voll aus und schaffst es nur auf Platz 80, ist nichts schief gegangen. Wenn du Tennisprofi bist und auf der ATP-Tour spielst, bist du als Spieler nicht gescheitert." (Florian Vetter, derStandard.at, 27.10.2011)