Details aus Viktoria Tremmels Zeichnungen ("Verzweiflung der Männlichkeit", 2011) werden zu Objekten.

Foto: Tremmel

Linz - Was psychische Konflikte und Deformationen betrifft, stellt sich die Gesellschaft nur allzu gerne blind. Schließlich sind diese nach außen kaum sichtbar und deswegen für viele schlichtweg inexistent. Sichtbares, wie Bandagen, Korsette oder auch Krücken, dominiert hingegen die Ausstellung von Viktoria Tremmel im Kunstverein Paradigma in Linz. In einer Serie fragiler Zeichnungen macht die gelernte Bildhauerin die psychischen Verrenkungen sichtbar, für die bekanntlich immer auch physische Zwänge verantwortlich sind: Eine Frau sitzt gefesselt auf einem Stuhl und wird mit einem Plastikobjekt vor der Nase gegängelt, ein Mann wird von seinem Fauteuil gefangengehalten, während sich ein Kind wiederum erfolgreich hinter seinen Kopfbandagen versteckt.

Teilweise wirken die surreal anmutenden Bilder, als hätte die Künstlerin ihre Gedanken schnell zu Papier gebracht. Andere, aufwändiger gezeichnete Blätter greifen Themen auf, an denen sich das Individuum in der Gesellschaft reibt. Obwohl die meisten von Tremmels Protagonisten in aufoktroyierten Rollen eingezwängt sind, kommt der Humor nicht zu kurz: Nicht in das Loch schauen nennt sie beispielsweise ein Bild, auf dem ein Mann in die "Röhre" starrt, während die Frau auf der Zeichnung daneben laut Bildtitel noch so viel zu geben hat.

Dass Körperlichkeit in Viktoria Tremmels Arbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt, machen aber nicht nur ihre Bilder, sondern auch die Rahmen deutlich: Selbstgebastelt oder auf dem Flohmarkt gefunden, geben die individuell angepassten, teilweise sperrigen Rahmen hier offensichtlich nicht nur den Blättern, sondern auch den intimen Bildthemen Halt.

Zu diesen gehören Alltagskonflikte genauso wie die Verarbeitung von Gewalterfahrungen oder auch die Verzweiflung der Männlichkeit: In einer Bildgruppe, die Geschlechterverhältnisse näher beleuchtet, zeigt die gleichnamige Zeichnung einen Mann, der seine sexuelle Verstörtheit trotz Anzug nicht zu verbergen vermag. Seinen Anzug realisierte die Künstlerin auch als Objekt: Mit aufblasbaren Gummistoppeln übersät, kehrt er das Organisch-Sexuelle sichtbar nach außen.

Auch die skurrilen, überwiegend schweren Objekte, die auf Tischen platziert wurden, sind Zeichnungen zuordenbar. Obwohl Tremmel nur Details ihrer Zeichnungen objekthaft "veräußert" (etwa einen Busenständer und andere Hilfskonstruktionen), wirken die abstrahierten Objekte gerade in ihrer Gesamtheit wie Prothesen einer Gesellschaft. Einer Sozietät, der es an zahlreichen Stellen krankt.   (Christa Benzer / DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)