"Es ist reine Übungssache. Am Anfang bekommt man nie alles in den PKW hinein. Nach einiger Zeit weiß man, wie man schlichten muss, um SB-Taschen, Schlösser und Zeitungen auf einmal zu transportieren", erklärt Maria Fandl. Im Herbst 2008 hat sie angefangen, im Waldviertel das Gratisblatt "Heute" auszufahren, am Wochenende hängt sie die Selbstbedienungstaschen (kurz SB) für die Printlogistik (darunter STANDARD, die Presse und die Wiener Zeitung) aus.

Ein österreichisches Phänomen

Die so genannten "stummen Verkäufer" sind seit dem Jahr 1962 an Österreichs Straßenecken im Einsatz. Den in anderen Ländern unüblichen Zeitungsverkauf findet man hierzulande an etwa 200.000* Standorten vor.

Körperliche Belastung

Wer sind aber die Menschen, die im Dunkeln losziehen, um Lesestoff in die SB-Taschen zu füllen? Bei den Wochenendtouren sind hauptsächlich Männer unterwegs, da das Befestigen der Taschen und Schlösser anstrengender ist. Beim Gratisblatt "Heute", das unter der Woche zur Hälfte von Frauen ausgeliefert wird, sind weder Taschen noch Montage notwendig. Hier werden nur die Zeitungsständer frisch aufgefüllt. "Ältere Männer werden häufig von ihren Ehefrauen begleitet, die in Listen eintragen, wie viele Zeitungen bei den Standorten wieder abgeholt werden", schildert Fandl.

Umstellung

Nach ihrer Karenz war Maria Fandl auf der Suche nach einem Teilzeitjob: "Dass ich die Zeitungen und SB-Taschen nachts oder früh morgens ausfahren konnte, war super. Entweder meine Kinder schliefen früh ein, dann bin ich um 23 Uhr losgefahren, oder eben gegen 3 Uhr morgens." Dies hinge auch davon ab, wann die jeweilige Zeitung von den so genannten Zubringern aus der Druckerei zu den Stützpunkten geliefert wird. Wichtig sei nur, dass man um 6 Uhr fertig ist. Es sei eine sehr anstrengende Arbeit. Die ersten drei Monate vor allem, bis sich der Körper an die Nachtarbeit gewöhnt hat.

Prekäres Aufenthaltsverhältnis

Viele der Subunternehmer und Kooperationspartner der Medienhäuser haben ein Kleintransportergewerbe, um sich zusätzlich zu den SB-Wochenendtouren zu erhalten. Beinahe alle haben Migrationshintergrund - zumindest in Wien. Dies liegt weniger in ihrer Natur zum Frühaufsteher begründet als vielmehr im beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. "Der Grund für die selbstständige Tätigkeit ist das prekäre Aufenthaltsverhältnis. Im Prinzip werden alle Merkmale eines Abhängigkeitsverhältnisses erfüllt", sagt Judith Hörlsberger von der Wiener Rechtsberatungsstelle für Migranten und MigrantInnen.

Was den vermeintlich überwiegenden Migrationshintergrund der meisten Transportunternehmer angeht, trifft dies eher auf Wien zu. Obwohl auch in Niederösterreich inzwischen viele "Inder gerne fahren", sagt Fandl. Nicht aber zu der Zeit, als sie in Krems, der Wachau oder Zwettl tätig war.

Verantwortungsvoller Job

"Es ist ein sehr verantwortungsvoller Job. Früher dachte ich, das ist eine Trottelarbeit, die nur Ausländer machen. Meine Einstellung hat sich geändert, als ich gesehen habe, wie hart die Nachtarbeit und kompliziert die Montage ist, wie viele und je nach Medienhaus unterschiedliche Haken es gibt", so die zweifache Mutter.

Während es in der Branche früher vorwiegend Pensionisten waren, die bis zu 20 Jahre ausgefahren sind, lockt die Arbeit heute hauptsächlich junge Menschen an. Die bleiben aber meist ein bis zwei Jahre dabei, erzählt Fandl. Sie vermutet, dass dies an der niedrigeren Zuverdienstgrenze für Pensionisten liegt. 

Zwischen Anstand und "Fladerei"

Um die Frage zu beantworten, ob man sich strafbar macht, wenn man die Sonntagszeitung ohne zu bezahlen aus der unverschlossenen Tasche zieht: Ja, wobei es sich laut Polizeiangaben um "Gebrauchsdiebstahl" handelt. Die Angelegenheit kann strafrechtlich verfolgt werden, das Ausmaß ist allerdings je nach Justizbeschluss individuell. "Die Beweislast ist schwierig und die Sanktionen sehr niedrig", räumt Thomas Letz, Vetriebsleiter des STANDARD, ein. Im Prinzip hätte es etwas mit Anstand zu tun, eingebürgert habe sich wieder etwas anderes. Das sehe man schon am Sprachgebrauch "fladern". (Eva Zelechowski, daStandard.at, 28. Oktober 2011)