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Ralf Rangnick trat wegen eines "vegetativen Erschöpfungssyndrom" als Trainer von Schalke zurück: "Ich brauche einen Pause."

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Ulrike Puhr: "Ich kenne genug Sportler, die Trainingslager geradezu alsErholung empfinden."

 

 

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Standard: Meldungen der letzten Wochen lassen vermuten, dass Burnout im Sport immer öfter auftritt. Gibt es mehr Fälle, oder gehen die Betroffenen erst jetzt von sich aus an die Öffentlichkeit?

Puhr: Ich glaube, dass beides zutrifft. Tatsache ist, dass viele Betroffene wie etwa der Skispringer Sven Hannawald erst nach Überwindung der Krankheit an die Öffentlichkeit treten.

Standard: Wer ist betroffen?

Puhr: Im Profisport die Coaches und eben die Sportler selber. Der Trainer ist in der ungünstigsten aller Positionen, weil er etwa im Fußball nach vielen Seiten hin für Leistung und Zielerreichung verantwortlich ist - der Öffentlichkeit und dem Verein, sprich seinem Geldgeber, gegenüber. Und die Spieler vertrauen auch darauf, dass er langfristig die richtigen Entscheidungen trifft. Das Problem ist, dass er nicht alle Faktoren beeinflussen kann. Solche Leute sind eben durchaus mit Topmanagern vergleichbar, weil es da ja auch um viel Geld geht.

Standard: Und wenn es, wie bei der Nationalmannschaft im Fußball, nicht in erster Linie ums Geld geht?

Puhr: Die Position des Teamchefs möchte ich auch nicht haben. Zu wissen, dass nichts geht, aber gleichzeitig so tun zu müssen, als ob ich glaube, dass etwas geht, ist ein gehöriger Stress. Und eigentlich muss ich mir schon vorher überlegen, wie ich den Menschen vermitteln soll, dass Fehler, die vor 20, 25 Jahren gemacht wurden, eben jetzt auszubaden sind. Das will ja niemand akzeptieren.

Standard: Wie geraten Sportler in eine Situation, die man dann Burn-out nennen könnte?

Puhr: Schneller, höher, stärker sind mehr denn je die Schlagworte. Dabei sind Einzelsportler immer mehr Stressfaktoren ausgesetzt. Nehmen wir die strenger werdenden Anti-Doping-Bestimmungen. Je nach Einstufung bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur müssen Sportler, extrem gesagt, bis zu 24 Stunden am Tag, 365-mal im Jahr für Tests zur Verfügung stehen. Man könnte gleich elektronische Fußfesseln fordern. Das schränkt auch in der Freizeit ein und lässt die Sportler nicht zur Ruhe kommen. Schon vom Reglement her steigt der Druck.

Standard: Wann wird dieser zusätzliche Druck schlagend?

Puhr: Das wesentliche Problem im Sport ist, dass man mit zunehmenden Trainingsjahren mehr investieren muss, um das letzte Bisschen an Leistungsvermögen noch ausschöpfen zu können. Da besteht sehr oft die Gefahr, dass sich das seelische Burnout mit Übertraining kombiniert. Wenn ich im Sport zu oft und zu lange falsche Trainingsreize setze, dann ist das wie ein Auto, das permanent ohne Öl und sonstige Wartung fährt, bis der Motor meint, dass es reicht. Und wenn ich weiß, dass mein Leben und was ich verdiene, davon abhängen, dass ich Leistung bringe, macht das noch mehr Druck auf der mentalen Seite.

Standard: Wie unterscheidet man zwischen Burnout und Depression?

Puhr: Je nachdem, welche Theorie man verfolgt. Es gibt welche, die besagen, dass die Depression eine Stufe des Burnouts ist - eine der letzten. Eine sehr harte Theorie besagt, dass die letzte Stufe des Burnouts der Tod ist. Wenn das System Mensch in seiner seelischen und körperlichen Gesamtheit beschließt, dass es nicht mehr geht. Ein, zwei Stufen vorher wäre demnach die Depression angesiedelt, die andere als Endstufe ansehen. Fakt ist, dass die Symptome ähnlich sein können.

Standard: Kann man diese Krankheit auch im Ansatz verhindern?

Puhr: Manchmal kann man es nicht verhindern, weil es Sportarten gibt, die zusätzliche Stressfaktoren wie Gewichtslimits haben. Unterversorgung des Körpers führt schneller zu Übertraining. Bei Institutionen wie dem Leistungszentrum Südstadt kommt dazu, dass Kinder und Jugendliche betroffen sind, die noch nicht mit mannigfaltigen Belastungen umgehen können. Nicht umsonst waren in der Südstadt vor Jahren Suizidversuche ein Thema.

Standard: Wie bewahrt man Kinder und Jugendliche vor Burnout?

Puhr: Man kann nur versuchen, sich von vornherein die Persönlichkeitsstrukturen anzusehen und herauszubekommen, wie sie mit Belastungen und Stress fertig werden, wie das Umfeld damit umgeht. Gibt es verständnisvolle Eltern? Habe ich einen Trainer, der das Gespür und die Erfahrung hat, nicht nur auf den Trainingsplan zu bestehen, sondern der fragt, was sein Schützling zu leisten imstande ist, und der auch Abstriche macht? Leider gibt es in Österreich noch viel zu viele, die den Sportler als Maschine betrachten, die auf Knopfdruck zu funktionieren hat. Solche Dinge führen zu Burnout, oder auch nur zu Unlust. Es gibt nicht wenige Talente, die im Hochleistungsalter längst aufgehört haben, weil ihnen die Lust ausgetrieben wurde.

Standard: Warum hört man gerade davon selten bis nichts?

Puhr: Die Dunkelziffern sind sehr hoch, vor allem im semiprofessionellen Bereich, der in Österreich relativ groß ist. Die wirklichen Profis beschränken sich auf einige wenige Sportarten. Dazu gibt es das Bundesheer und die Polizei mit ihren Sportzügen. Der große Rest muss nebenbei arbeiten oder hat den Sponsor Eltern oder studiert, damit er versichert ist. Die sind in Summe einer wesentlich höheren Tagesbelastung ausgesetzt. Ich kenne genug Sportler, die Trainingslager geradezu als Erholung empfinden, weil sie da nur an den Sport denken müssen.

Standard: Die prominenten Burn-out-Opfer im Sport sind fast ausschließlich Männer. Trifft es Frauen seltener? Wenn ja, warum?

Puhr: Man weiß, dass Frauen früher darüber zu sprechen beginnen. Das ist nicht anders als in der Gesundheitsvorsorge. Männer warten viel länger. Wenn sie etwas unternehmen, ist die Situation zumeist schon sehr ernst. Frauen haben daher eher die Chance, wieder herauszukommen. Ich habe so einen Test, der zwölf Burnout-Stufen definiert. Frauen kommen bei Stufe drei bis fünf, Männer bei acht oder neun. Weil sie eher der Überzeugung sind, dass man sich mehr anstrengen oder zusammenreißen muss. Bis dann der Herzinfarkt oder sonst etwas passiert. (Sigi Lützow, DER STANDARD Printausgabe 31.10.2011)