Die "Bremer Stadtmusikanten" in der Tokiostraße weisen ein komplexes Design auf, das viel Privatsphäre ermöglicht und doch nicht teurer war als konventionelle Wohnbauten.

Foto: Artec/Spiluttini

Bitte noch ein Schwimmbad mit Liegewiese auf dem Dach, lautete der Wunsch des Bauträgers an die Planer.

Foto: Artec/Spiluttini

Garten, Höfe, Straße, Schwimmbad: In Wien-Kagran packt das Wohnhaus "Bremer Stadtmusikanten" von Artec alles, was man braucht, in einen Block. Vier Wohnungstypen sind hier übereinandergestapelt.

Fast unbemerkt, zwischen U-Bahn, Gärtnereien und Eislaufhalle, ist in Kagran ein neues Stück Stadt entstanden. Keine Vorortsiedlung, sondern ein Wohnviertel von innergürtliger Dichte. Bis hier richtiges urbanes Leben einzieht, wird es wohl noch dauern. Aber ein Wohnbau in diesem Viertel spielt, ganz für sich, die ganze Partitur der Stadt jetzt schon durch, inklusive Straße, Hof, Garten und Freibad: das märchenhaft benannte Wohnhaus "Bremer Stadtmusikanten" an der Tokiostraße von Artec Architekten.

"Den Namen haben wir gewählt, weil sich hier, genau wie die Tiere im Märchen, vier Typen übereinanderstapeln", erklärt Bettina Götz von Artec. Zum ruhigen, grünen Hof hin tragen Atelierwohnungen mit 4,50 Meter Geschoßhöhe und Gärten zwei übereinander gesetzte Reihenhäuser, und diesen wiederum sind, keck balancierend, schmale Querriegel aufgesetzt: ein Haus auf dem Haus. "Das sind die Kleingartenhäuser – eine typische Wiener Eigenheit, die wir hier aufgegriffen haben", sagt die Architektin. "An der schmalsten Stelle sind sie nur drei Meter breit!"

Abgrenzung des Privaten

Hier gelang es den Architekten, durch Vor- und Rücksprünge jeder Wohnung geschützte Bereiche zu geben. "Die Abgrenzung des Privaten ist bei dieser enormen Dichte sehr wichtig. Man möchte ja den Rücken geschützt wissen." Aus diesem Grund sind die Brüstungen der Terrassen aus massivem Sichtbeton. Eine Alternative zu den vielen gutgemeinten gläsernen Balkonbrüstungen, die im Nachhinein von den Bewohnern mit Bastmatten und Blickschutzgestrüpp verhängt werden.

Auch zur Straße hin wurden unerwünschte Einblicke in die Privatsphäre der Nachbarn vermieden. Hier sind die Wohnungen so clever verschränkt, dass sie, obwohl nur eingeschoßig, allesamt helle, zweigeschoßige Loggien vorgesetzt bekamen. Verbunden sind Straßen- und Gartenwohnungen durch einen erstaunlich hellen, sonnengelb verputzten Spalt mit übereinanderliegenden Gängen, die wie vertikale Straßen funktionieren. Erst wenn man die Stiegenhäuser zu Fuß erklimmt, bemerkt man keuchend die Höhe des Bauwerks, das von außen nirgends wie der Siebengeschoßer wirkt, der es ist. Zur Straße ist das Erdgeschoß offen, hier können in Zukunft kommerzielle Nutzungen Platz finden.

Architekten suchten Bauträger aus

Ungewöhnlich ist nicht nur die fast tetrisartige Anordnung der Wohnungen, sondern auch die Entstehungsgeschichte des Anfang 2011 fertiggestellten Projekts: Anders als beim klassischen Bauträgerwettbewerb waren es hier die Architekten, die sich den Bauträger Neues Leben aussuchten: "Neues Leben hatte einen sehr guten Ruf, wir waren schon lange an einer Kooperation interessiert, deswegen sind wir für den Wettbewerb an sie herangetreten", sagt Götz.

Dort stieß man auf offene Ohren und bekam gleich noch den Wunsch aufgetragen, bitte auch ein Schwimmbad inklusive Liegewiese auf dem Dach einzuplanen. Eine Bitte, der sich natürlich kein Architekt verschließt. Eine Kooperation, mit der beide Seiten sich sehr zufrieden zeigen. "Das Bauvorhaben ist sehr gut gelungen", freut sich Geschäftsführer Karl-Heinz Stadler von Neues Leben, der am Rande des Schwimmbeckens steht und den Blick über donaustädtische Dächer, Stephansdom und Kahlenberg schweifen lässt. "Zwar ist das für uns eindeutig ein Sonderfall, auf den man sich nur einmal einlässt, aber wir sind sehr stolz darauf."

Andere Klientel als sonst

Rechnet sich der Luxus der Komplexität, wenn man eine ganze Stadt baut, anstatt gleichartige Wohnungen in Serie übereinanderzuschichten? Die Baukosten liegen mit 1,6 Millionen (1735 Euro pro Quadratmeter) im üblichen Rahmen, die Größen der exakt 100 Wohnungen mit einem Durchschnitt von etwa 90 Quadratmetern darüber.

Um diese an Mann und Frau zu bringen, musste allerdings zu neuen Mitteln gegriffen werden. "Die Verwertung war nicht einfach. Wir haben zum ersten mal Wohnungen mithilfe eines Modells verkauft, weil die Pläne so komplex waren, dass sich die Leute das nicht vorstellen konnten." Die Resonanz bei denen, die sich nach erfolgtem Verständnis der Grundrisse für die Wohnungen entschieden, war einhellig positiv.

"Bei einem so speziellen Wohnhaus hat man eine andere Klientel als sonst: Entweder die Leute lehnen das ab, oder sie wollen es unbedingt haben." Ein Jahr nach Fertigstellung waren noch vier Wohnungen zu haben, inzwischen sind alle vermietet. Und eines Tages, wenn das Viertel nachzieht und zur echten Stadt wird, ziehen vielleicht sogar die Geschäfte ins Erdgeschoß ein. (Maik Novotny, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.10.2011)