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Anti-Gaddafi-Kämpfer haben diesen Wegweiser nach Tawergha mit "Misrata" übermalt.

Foto: AP/dapd/Walid Mukhtar

Anfang Oktober besuchte eine Delegation der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mehrere libysche Städte. Der am Sonntag veröffentlichte Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen Milizen aus Misrata: Zivilisten sollen an der Rückkehr in ihre Häuser gehindert worden, einige sogar gefoltert oder ermordet worden sein. Vertreter des Übergangsrats sprechen sich für eine Umsiedlung der Einwohner der 30.000-Einwohner-Stadt Tawergha aus.

Ibrahim Beitelmal, Sprecher des Militärrates von Misrata, forderte im Gespräch mit AP, die Stadt zu zerstören: "Wenn es nach mir ginge, will ich diese Stadt nie mehr sehen, sie sollte nicht mehr existieren". Beitelmals 19-jähriger Sohn starb im Kampf um Misrata.

Laut HRW liegen glaubhafte Berichte vor, dass auf unbewaffnete Menschen aus Tawergha geschossen werde, zudem gebe es willkürliche Festnahmen und Gefangene würden brutal geschlagen. Die Milizen werfen den ehemaligen Einwohnern Tawerghas demnach vor, an der Seite von Gaddafis Truppen in Misrata Gräueltaten wie Vergewaltigungen und Morde verübt zu haben. Viele Bewohne der Stadt stammen von afrikanischen Sklaven ab.

Plünderungen

Bei ihren Besuch in der Stadt Anfang und Ende Oktober sahen die Mitglieder der Delegation, wie Milizen Häuser in Brand steckten und mit Lastwagen Möbel und Teppiche abtransportierten.

Die Stadt galt als Hochburg von Gaddafi-Anhängern und diente seinen Truppen auch als Basis für Angriffe auf Rebellen in Misrata. Als die Aufständischen Mitte August ihre Offensive in Richtung Tripolis ausweiteten, flohen die meisten der rund 30.000 Einwohner. Wer nicht freiwillig ging, wurde von den Milizen vertrieben.

HRW zitierte einen Milizenvertreter mit den Worten, den Vertriebenen dürfe "niemals die Rückkehr" nach Tawergha erlaubt werden. Auch Ibrahim Yusuf bin Gashir, laut HRW Mitglied des Übergangsrates, sprach sich für eine Umsiedlung aus: "Man sollte sie nach Tripolis, Bengazi oder in den Süden bringen und sie für ihre Verluste in Tawergha entschädigen", sagte er der Delegation, "diese Fälle können nicht vergeben werden, es wäre besser, sie weit weg anzusiedeln."

Folter, Mord, Rassismus

Die Vertreter der Menschenrechtsorganisation sprachen mit zahlreichen Gefangenen, die von Übergriffen der Milizen aus Misrata berichteten. So sei ein 42-jähriger Müllwagenfahrer so lange geschlagen worden sein, bis er gestand, dreißig Frauen und ein achtjähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Später erlag der Mann seinen Verletzungen. Ein psychisch Kranker wurde 45 Minuten lang mit einer Pferdepeitsche geschlagen, bis er tot war. 

Im Wahda-Gefängnis in Misrata  sahen die Besucher, wie verletzte  Häftlinge spätnachts auf den Knien über den Hof rutschen mussten. Ein Wärter bezeichnete dies als "Abendsport". Ein anderer Gefangener wurde mit Peitshcenhieben gezwungen, auf einen Mast zu klettern, was die Gefängniswärter mit "der Affe braucht eine Banane" kommentierten.

Der stellvertretende Vorsitzende des Stadtrats von Misrata, Sedik Bashir Bady, sagte der Delegation, man habe angeordnet, die Misshandlungen umgehend einzustellen - allerdings hielten sich die Kämpfer an keine Befehle: "Sie tun was sie wollen".

Keine Behandlung für Bewohner Tawerghas

Im Spital von Misrata wurden laut mehreren übereinstimmenden Augenzeugenberichten Patienten die Behandlung verweigert, weil sie aus Tawergha stammen. Banken verweigern laut HRW Auszahlungen, wenn in den Ausweispapieren des Kunden der Name der Stadt eingetragen ist.

Kollektivstrafen

Bei der Belagerung Misratas im Mai und April beschoss die libysche Armee die Stadt mit Mörsern und Raketen und setzte Streubomben ein. Die Racheaktionen an den Bewohnern Tawerghas und die Deportationen stellen laut HRW aber Kollektivstrafen dar und sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

HRW erklärt, derlei Racheakte gefährdeten das "Ziel der libyschen Revolution". Menschen aus Tawergha, denen Verbrechen vorgeworfen würden, müssten "gemäß dem Gesetz" und nicht in Selbstjustiz zur Verantwortung gezogen werden. HRW rief die neue Regierung in Libyen dazu auf, die noch verbliebenen zahlreichen Bewaffneten in Misrata unter ein einheitliches Kommando zu stellen.

Der Aufstand gegen Gaddafi hatte Mitte Februar seinen Anfang genommen. Am 20. Oktober wurde er in seiner Geburtsstadt Sirte gefangen genommen und starb anschließend unter bisher ungeklärten Umständen. (red/APA)