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Ob per Handschlag, Mausklick oder schriftlichen Vertrag: In Zukunft soll es neben den nationalen Regelwerken auch einen europäischen Weg zu einem Geschäftsabschluss geben.

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Vor kurzem hat die Europäische Kommission - wie berichtet - einen Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht präsentiert. Dieses soll neben die bestehenden 27 verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten treten und wahlweise von Vertragspartnern angewendet werden können.

Es handelt sich um ein umfassendes Vertragsrecht für grenzüberschreitende Kaufverträge und Verträge über digitale Inhalte (etwa Musikdownloads oder Handy-Apps) zwischen Unternehmern (B2B-Geschäfte) sowie zwischen Unternehmern und Konsumenten (B2C-Geschäfte). Bei Geschäften zwischen Unternehmern gilt es allerdings nur dann, wenn zumindest ein beteiligtes Unternehmen den Status eines KMU (weniger als 250 Beschäftigte, Jahresumsatz höchstens 50 Mio. Euro) hat. Den Mitgliedsstaaten wird jedoch das Recht zugebilligt, das einheitliche Vertragsrecht auch für B2B-Geschäfte ohne KMU-Bezug sowie für rein nationale Kaufverträge anzubieten.

Geregelt wird der gesamte Lebenszyklus eines Kaufvertrages: allgemeine Grundsätze des Vertragsrechts, vorvertragliche (Informations-)Pflichten der Parteien, der Vertragsabschluss, Verpflichtungen und Rechte der Parteien, Abhilfemöglichkeiten bei mangelhaften Leistungen (z. B. Gewährleistung), Schadenersatz und Verzug, Vertragsbeendigung und Rückabwicklung des Vertrages sowie die Verjährung.

Erklärtes Ziel ist der Abbau bestehender Hindernisse beim grenzüberschreitenden Handel, die durch unterschiedliche Rechtsordnungen entstehen. Laut EU-Kommission würden Verbraucher und KMUs innerhalb der EU viel mehr grenzüberschreitende Geschäfte vor allem auch über das Internet abschließen, wenn es ein einheitliches Kaufvertragsrecht gäbe. Diese Zielrichtung ist zwar lobenswert, stößt jedoch bei der praktischen Umsetzung auf zahlreiche wesentliche Probleme, die noch einer Lösung bedürfen.

Opt-in-System

Als Verordnung bedarf das neue Kaufrecht keiner Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten - das wäre unionsrechtliches Neuland. Bisher wurde versucht, Vertragsrecht aufgrund seiner Einbettung in die nationalen Zivilrechtssysteme mit Richtlinien in Teilbereichen zu harmonisieren. Nun soll das gesamte grenzüberschreitende Kaufrecht in der EU einheitlich geregelt und den Vertragsparteien optional zur Verfügung gestellt werden (Opt-in-System).

Die Wahlfreiheit der Vertragspartner zeigt andererseits, dass eine Vollharmonisierung noch weit entfernt ist. Derzeit sind die nationalen Interessen, die eigenen Vertragsrechtssysteme beizubehalten, noch zu stark, als dass ein EU-Kaufrecht die nationalen Systeme komplett ersetzen könnte.

Das europäische Kaufrecht soll Unternehmern und Verbrauchern in der EU ein einfach verständliches Vertragswerk zur Verfügung stellen. Dies ist mit dem Vorschlag nicht zur Gänze gelungen. Das Regelwerk besteht aus 186 Artikeln mit insgesamt mehr als 100 Seiten; es ist kompliziert aufgebaut und teilweise schwierig nachzuvollziehen. Ob Einzelbestimmungen zwingend sind, muss beispielsweise beim jeweiligen Artikel nachgeprüft werden.

Zu bedenken ist auch, dass es zu Beginn aufgrund des Fehlens höchstgerichtlicher Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und einschlägiger Literatur zu großen Auslegungsschwierigkeiten und dadurch bedingt auch zu erheblichen Rechtsunsicherheiten kommen wird. Der EuGH verfügt zurzeit nicht über die notwendigen Ressourcen, um rasche Entscheidungen fällen zu können.

Nationale Regelungen bleiben

Außerdem regelt der Entwurf nicht alle Aspekte des Vertragsrechts, weshalb für einige Bereiche trotz Wahl des europäischen Kaufrechts durch die Parteien weiterhin die jeweils nationalen Regelungen anzuwenden sind. Keine Regelungen finden sich etwa für die Stellvertretung beim Vertragsabschluss, die Geschäftsfähigkeit von Personen, die Aufrechnung, die Abtretung von Vertragsansprüchen, das Deliktsrecht oder den Eigentumsübergang. Sämtliche sachenrechtlichen Fragen wie Eigentumsvorbehalte und Pfandrechte unterliegen weiterhin nationalen Rechtsordnungen.

Auch die Wahl, ob das europäische Kaufrecht überhaupt zur Anwendung kommen sollte, wirft Probleme auf. Sie wird faktisch vom stärkeren Vertragspartner getroffen, der wohl genau untersuchen wird, ob es ihm im Einzelfall Vorteile bringt. Verbraucher und KMUs werden sich daher oft der Wahl des Stärkeren unterwerfen oder auf einen Vertragsabschluss gänzlich verzichten müssen.

Das neue EU-Vertragsrecht soll den Verbrauchern ein einheitliches Verbraucherschutzniveau bieten. Unternehmerverbände bemängeln, dass die Kommission dafür den höchsten Standard von Verbraucherschutzregelungen, die in Europa Gültigkeit haben, als Grundlage verwendet hat. Es ist daher davon auszugehen, dass Unternehmer vom gemeinsamen Kaufrecht Abstand nehmen werden, wenn die nationalen Regelungen weniger strenge Verbraucherschutzbestimmungen enthalten.

Österreichische Vertragsparteien müssten ergänzend zu den österreichischen Bestimmungen auch über das neue "Fakultativrecht" Bescheid wissen, das in vielen Bereichen von der nationalen Rechtslage abweicht. Nach dem Vorschlag der Kommission sollen Käufer etwa bei Vorliegen eines mangelhaften Produkts zwischen den verschiedenen Gewährleistungsbehelfen - Reparatur, Ersatzlieferung, Preisminderung, Wandlung - grundsätzlich frei wählen können, was zurzeit nur in wenigen EU-Staaten möglich ist. In Österreich haben Verbesserung und Austausch grundsätzlich den Vorrang.

Die Vermutung, dass ein Mangel schon bei der Übergabe der Sache bestanden hat, wenn er innerhalb von sechs Monaten hervorkommt, besteht nach dem Entwurf des europäischen Kaufrechts im Gegensatz zur österreichischen Rechtslage nur bei Geschäften mit Verbrauchern, nicht im B2B-Bereich. Aber auch im vertraglichen Schadenersatzrecht finden sich Abweichungen, was für Unternehmer zum Teil höhere Schadenersatzpflichten zur Folge haben kann.

Skepsis im B2B-Bereich

Das gemeinsame Kaufrecht wird es im B2B-Bereich voraussichtlich schwer haben, eine herausragende Bedeutung bei internationalen Geschäften zu erlangen. Auch dem bestehenden UN-Kaufrecht (CISG), das in vielen nichteuropäischen Staaten als vereinheitlichtes Kaufrecht zur Anwendung kommt, wird häufig mit Skepsis begegnet, vor allem weil das aus nationalen Rechtsgeschäften bekannte Recht um einiges vertrauter ist. Deshalb wird das UN-Kaufrecht von Parteien oft ausgeschlossen, und es ist zu befürchten, dass auch das EU-Kaufrecht auf ähnliche Ablehnung stoßen wird. Verbraucher müssen die Gefahr bedenken, dass ihnen das europäische Kaufrecht von Unternehmern in der Praxis aufgedrängt wird.

Um in Kraft treten zu können, muss der Vorschlag sowohl vom Europäischen Parlament als auch vom Rat angenommen werden. Vom Parlament wurde bereits Unterstützung signalisiert, eine Zustimmung des Rates ist jedoch alles andere als sicher. (Paul Luiki, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2011)