These 1: Die griechische Bevölkerung wird ein weiteres Sparpaket samt wirtschaftspolitischer Entmündigung verweigern. Dies gibt den Staatenlenkern die vermutlich letzte Chance, die Symptomdiagnosen und Symptomkurse der vergangenen 18 Monate zu überdenken. Die Krise ist nämlich keine "Griechenland-Krise" , sondern eine Systemkrise: Zwischen 2000 und 2007 ist die griechische Staatsschuldenquote konstant geblieben (freilich auf zu hohem Niveau), sie stieg erst danach drastisch an, und zwar wegen der Krise des Finanzsystems 2008/2009, wegen der durch Spekulation auf über 20 % gestiegenen Zinsen und wegen einer rabiaten Sparpolitik, welche das BIP vier Jahre lang schrumpfen ließ.

These 2: Der neoliberale Smog in den Köpfen der Eliten macht es ihnen unmöglich, den systemischen Charakter der Krise zu begreifen. Zwar springen die Ausbreitung der Zinsepidemie bis Frankreich, die Handelspraktiken auf den Derivatmärkten, die kontraproduktiven Sparanstrengungen, die immer groteskeren Kurssprünge an den Börsen etc. ins Auge, werden aber vor Eintritt ins Hirn abgeblockt.

These 3: In einer solchen Lage müsste die Politik Leadership zeigen, indem sie in die Märkte ein- und die Finanzalchemisten angreift: Eine systemische Konsolidierungsstrategie muss unternehmerisches Handeln auf allen Ebenen besser stellen als Finanzakrobatik, das Sparen der Haushalte durch höhere Konsolidierungsbeiträge der Bestsituierten senken und den Zinssatz für alle Euro-Länder unter die Wachstumsrate drücken. Dies lässt sich in einer Währungsunion nur durch ein gemeinsames Finanzierungsinstrument erreichen: Ein Europäischer Währungsfonds (EWF) gibt Eurobonds zu festen Zinssätzen aus, er hat eine unbeschränkte Garantie aller Euroländer und die Rückendeckung der EZB (wie in den USA). Eurobonds werden von den Großanlegern beim EWF gehalten, sind nicht handelbar - so wie die österreichischen "Bundesschätze" bei der BFA -, können allerdings jederzeit "liquidisiert" werden. Jegliche Spekulation mit den Staatsfinanzen hört sich dann auf.

These 4: Genau dort setzt aber die Denk- und Lernblockade ein. Alles darf der Staat in der Not tun, teure Rettungsschirme aufspannen und ausweiten ja, aber dem Markt die Preisbildung nehmen, nein, das ist ein Sakrileg (auch wenn das gar nix kosten würde).

These 5: Wenn jene Chance, die das griechische Volk den europäischen Staatenlenkern mit dem Referendum bietet, als Erpressung wahrgenommen und somit nicht begriffen wird, geht nicht nur Griechenland bankrott. In einer schweren Krise gilt ja: "Rette sich, wer kann" , also Wirtschaftskrieg. Dann können die Gespenster der Vergangenheit, die man mit der EU befrieden wollte, wiederauferstehen. Und niemand wird sie besser zum Tanzen bringen als die Zuchtmeister von damals in ihrer Rolle als Lehrmeister von heute. (Stephan Schulmeister, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.11.2011)