Millionen Chinesen standen im Morgengrauen auf. Sie wollten den Start des Raumschiffs "Shenzhou 8" um 5.58 Uhr, mit dem erstmals auch das deutsche Versuchslabor "Simbox" mitflog, live über Fernsehen erleben. 50 Stunden später in der Nacht auf Donnerstag gingen viele gar nicht erst schlafen. Aufgeregt verfolgten sie live im Fernsehen oder über Internet wie im All das magische Schiff "Shenzhou" auf das "Himmelpalast" getaufte Weltraummodul "Tiangong" zuflog, das die Erde seit September umkreist.

Videokameras an beiden Raumschiffen übermittelten die Bilder ihrer Annäherung frei Haus, schließlich sogar dramatisch meterweise im Countdown. China inszenierte sein erstes Andockmanöver im Weltall, und alle sahen zu. Kameras vom Boden und an beiden Raumschiffen lieferten dreifach bewegte Bilder.

Überschwenglich begeisterte sich selbst das Parteiorgan "Volkszeitung" und warb seit Mitternacht für seine Webcast. "Verfolgen Sie, wie es zum historischen Kuss im Weltall kommt." Im Pekinger Kontrollzentum fanden sich nach ein Uhr morgens sieben der mächtigsten Führer Chinas ein. Nur Jia Qinglin, der gerade Deutschland besucht, und Staatschef Hu Jintao fehlten. Hu konferierte zeitversetzt gegen 18 Uhr abends im französischen Cannes in sehr erdnahen Sachen der G20 und des Euro mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und ließ sich beglückwünschen. "Das ist ein kompletter Erfolg", rief 10.000 Kilometer weiter der Kommandant des Pekinger Kontrollzentrums aus.

Um 1.37 Uhr war die Romanze am Himmel soweit. Beide unbemannten Raumschiffe, die von Computern in 343 Kilometern Höhe aufeinander zugeleitet wurden, koppelten aneinander an. Chinas erster Baustein für eine künftige Raumstation hatte sich bewährt. Start und Ankoppelung der beiden Raketen klappten beide wie aus dem Bilderbuch. Hunderte chinesischer Computertechniker hatten vom Boden aus etappenweise das Andocken gelenkt, die Flugbahnen beider Objekte über mehrere Stopps einander angenähert bis auf zehn Meter Distanz. Als sie auf 50 Kilometer Distanz am Mittwochnachmittag flogen, übernahmen optische (Laserradar) und Mikrowellen-Sensoren an den Raumschiffen die Feinsteuerung, um eine Kollision zu verhindern. Sie brachten beide Raumschiffe hintereinander von einer Parkpositionen zur anderen von 400 auf 140 und auf 30 Meter, wo noch einmal alle Daten gecheckt wurden.

Auch Chinas Raumforscher fieberten dem Rendezvous entgegen, das sie einst am Boden 1.066 Mal geübt und simuliert hatten. Dennoch blieben sie auf der Hut. Die Sprecherin der Raumfahrtbehörde Wu Ping warnte: "Was wir machen, bleibt ziemlich schwer und riskant. Wenn beide Raumfahrzeuge nebeneinander fliegen, kommt es auf Zentimeter an." China habe alle Andockmanöver studiert, die USA und Russland in den vergangenen Jahrzehnten machten. Es habe viele Pannen gegeben. "Wir haben uns 100 Szenarien bereitgelegt."

Die Notfall-Pläne blieben in der Schublade. Peking feierte eine historische Stunde, die dritte Weltraummacht zu sein, die das Andocken gelernt hat, Voraussetzung zum Aufbau komplexer Raumstationen. Wer diese Technik beherrsche, könne sich Baustein um Baustein ein "Himmelslabor im Orbit zusammenbauen", hatte am Vortag der Leiter für Weltraumforschung Peter Preu vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gelobt. Um 2020 wollten die Chinesen eine Raumstation aufgebaut haben, erfuhr Preu. Er hatte am Dienstag mit einer Gruppe deutscher Wissenschaftler den Start der Shenzhou 8 vom Raumbahnhof Jiuquan in der Wüste Gobi mitverfolgen dürfen.

Mit an Bord startete in erstmaliger deutsch-chinesischer Forschungszusammenarbeit ein "Simbox"-Labor mit 17 Experimentreihen zur Medizin, Biologie oder Grundlagenforschung, die deutsche und chinesische Wissenschafter gemeinsam vorbereitet hatten. Das Raumschiff "Shenzhou 8" wird mit seinem Labor zwölf Tage mit dem Modul verbunden bleiben. Dann wird es sich vom Himmelslabor trennen, um sich nach kurzer Zeit noch einmal anzukoppeln. Drei Tage später fällt es dann in der zweiten Novemberhälfte zur Erde zurück und wird dann in der Inneren Mongolei landen.

Die deutsch-chinesischen Testreihen würden mit einem Spezialhubschrauber sofort in Pekinger Labors geflogen, wo deutsche Forscher aus sieben Universitäten auf sie warten, um sie auszuwerten, sagte Preu. "Die neue Zusammenarbeit" mit China im All werde sich auch später auszahlen. Schließlich würde China um 2020, dem Jahr, in dem die Internationale Raumstation ISS eingestellt wird, die einzige Nation sein, die über ein Raumlabor verfügt. "Die geplante künftige Raumstation wird für Wissenschafter in aller Welt offen sein" versprach Xinhua am Donnerstagmorgen.

Eigentlich sind Rendezvous im All, die in diesem Jahr 45 Jahre Jubiläum feiern, nichts Besonderes mehr. Das erste Andockmanöver geschah 1966, als das bemannte US-Raumschiff "Gemini" erstmals an ein unbemanntes "Agena"-Raumfahrzeug andocken konnte. In den Augen von Raumfahrtveteranen "ist das eine jahrzehntealte Technologie" gestand die Nachrichtenagentur Xinhua ein. Aber "zu sehen, wie das China erstmals gelingt, ist doch eine neue Erfahrung." Peking habe von allen Erfahrungen gelernt und kann heute "schneller und zu geringeren Kosten den Abstand aufholen." Statt nur ein Rendezvous durchzuführen, könne es das Modul "Tiangong" noch zwei Jahre nutzen und daran die "Shenzhou 9" und die erstmals bemannte "Shenzhou 10" ankoppeln lassen. Mit ihr soll erstmals auch eine Astronautin fliegen.

Chinas Bevölkerung feierte im Voraus das Rendezvous. Zeitungen und Internet variierten die romantische Version vom "Kuss im Weltraum", die zum geflügelten Wort geworden ist. Chinas erster Astronaut Yang Liwei, der vor acht Jahren 2003 in einer Raumkapsel eingequetscht wie in einer Konservendose die Erde umrundete, nannte das "Tiangong"-Modul, in dem bis zu drei Astronauten arbeiten können, vergleichsweise geräumig. Aus Chinas um 2020 geplanter, mit weiteren Modulen nach Bausteinprinzip zusammengestecker und 60 Tonnen schwerer Raumstation könnte gar eine "chinesische Villa im Himmel" werden.  (Johnny Erling, 3. 11. 2011)