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Reparatur dringend vonnöten: Griechenlands politisches System.

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Regierungschef Giorgos Papandreou schreitet zur Notsitzung seines Kabinetts.

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Dicke Luft am Mittwochabend in Cannes.

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Antonis Samaras, Chef der konservativen Opoositionspartei Nea Dimokratia.

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Zur Person: Der gebürtige Grieche Spyros Economides (48) ist stellvertretender Direktor des Hellenic Observatory, einem Forschungszentrum für griechische Politik an der London School of Economics.

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Die Regierung in Griechenland steht nach der überraschenden Volte ihres Chefs Giorgos Papandreou in Sachen EU-Rettungsplan vor dem Aus. Spyros Economides, Vizedirektor des Hellenic Observatory an der renommierten London School of Economics sieht rein innenpolitische Gründe hinter dem Plan, über EU-Hilfen und Sparkurs das Volk zu befragen. Hinter der kolossalen Unbeliebtheit Papandreous ortet der gebürtige Grieche grundlegende Probleme im politischen System Griechenlands. 

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derStandard.at: Ist die Ära der seit Jahrzehnten alternierend herrschenden Familienclans der Papandreous, Mitsotakis und Karamanlis vorbei, wenn der jetzige Premier stürzt?

Spyros Economides: Man soll niemals nie sagen. Aber unter Griechen ist die Idee tief verwurzelt, dass diese Art von Dynastien wichtig sind. Wir könnten aber bald auch vor einem kompletten Verschwinden der politischen Klasse stehen, so wie Italien in den frühen Neunzigern. Dort hatten die Wähler derart genug von ihrem politischen System, dass sie eine ganze Generation von Politikern von der Bühne fegten und eine jüngere, repräsentativere Generation an die Macht brachten. Das heißt aber nicht, dass die Familien nicht wieder dabei sein werden. Es gibt etwa einen jungen Mitsotakis in der Nea Dimokratia (konservative Volkspartei, derzeit in Opposition, Anm.), der schon lange im Parlament ist und recht populär ist.

derStandard.at: In Italien folgte auf den Zusammenbruch der Democrazia Cristiana das System Silvio Berlusconi.

Economides: Stimmt (lacht), das ist natürlich schwer vorstellbar und eigentlich ist es auch nicht vorherzusagen, was in Griechenland als Nächstes kommt.

derStandard.at: Bleiben wir beim Aktuellen. Warum hat sich Papandreou so überraschend für ein Referendum über das EU-Rettungspaket und seine Sparpolitik entschieden?

Economides: Viele Menschen fragen sich das. Soweit wir wissen gab es keinerlei Beratungen mit seinem Kabinett und seiner Partei, nur seine engste Entourage war eingeweiht. Mir scheint, Papandreou hat aus Verzweiflung so gehandelt, weil er seine persönliche politische Zukunft retten wollte. Anders lässt es sich nicht beschreiben. Griechenlands Demokratie befindet sich in einer massiven Krise. Niemand bestreitet, dass eine Volksabstimmung ein demokratisch korrektes Mittel ist, weil das Volk immer das letzte Wort haben muss. Aber der normale und erste Weg wären Neuwahlen. 

derStandard.at: Was braucht es konkret?

Economides: Eine große, offene Debatte, wohin das Land in Zukunft gehen soll, ob diese Regierung den Sparkurs weiter verfolgen soll oder ob die Bürger lieber eine Regierung der nationalen Einheit am Ruder sehen wollen. Warum also zum letztmöglichen demokratischen Mittel einer Volksabstimmung greifen? Das ist ein tödliches Glücksspiel. Geht es verloren, wäre Griechenland für die nächsten dreißig Jahre verdammt.

derStandard.at: Rührt diese Verzweiflung aus der Unmöglichkeit eines nationalen Konsenses her?

Economides: Das ist ein Teil des Problems. Papandreou sah und seine Politik riesigem Widerstand ausgesetzt, und zwar aus allen politischen Lagern, auch in seiner eigenen Partei. Ihm sind schlicht fast alle Freunde und Unterstützer davongelaufen, die er braucht, um seinen höchst unpopulären Kurs durchzusetzen. Er war außerdem nie besonders erfolgreich darin, die Notwendigkeit seiner Politik ausreichend und konkret zu erklären. Das Referendum wäre ein großes politisches Glücksspiel, es ging Papandreou auch um seine eigene politische Zukunft, mehr als darum, politische Geschlossenheit zu schaffen. Natürlich würden die Griechen nicht wirklich über das Rettungspaket abstimmen, sondern letztlich über ihre EU-Mitgliedschaft. Das wäre eine Art russisches Roulette.

derStandard.at: Aber ist Papandreou selbst so unpopulär oder ist es seine Politik?

Economides: In den vergangenen 18 Monaten hat sich in Griechenland eine tiefe Antipathie gegenüber der politischen Klasse als Ganzes herausgebildet. Das sieht man nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch in Gesprächen mit Griechen und in den Medien. Die Politiker verspielten die Zukunft des Landes, heißt es, sie handelten nicht demokratisch und verschwendeten das Geld der Griechen. Klar ist aber auch, dass genau jene Leute, die jetzt schimpfen, diese politische Klasse über dreißig Jahre hinweg wieder und wieder gewählt haben und von der extremen Klientelpolitik all dieser Regierungen profitiert haben. Die Unzufriedenheit mit den Politikern ist zwar verständlich, eigentlich steht dahinter aber ein grundlegendes Problem der griechischen Politik.

derStandard.at: Und in der Partei?

Economides: Papandreou hat innerhalb seiner Partei aber immer schon starke Gegner gehabt, schon als er zum Parteichef gewählt wurde und auch zu Beginn der Krise, als der erste EU-Rettungsplan notwendig wurde. Er hat kurz darauf sein Kabinett umgebildet und seinen Finanzminister ausgetauscht, der aktuelle Minister, Evangelos Venizelos, ist ein mächtiger Mann innerhalb der PASOK. In den vergangenen Tagen sind die Flügelkämpfe in der Partei wieder sehr offen aufgeflammt, Papandreou hat klar nicht mehr die Unterstützung der gesamten Partei.

derStandard.at: Wollte Papandreou mit der Volksabstimmung die Gewerkschaften versöhnlich stimmen, die in der jüngsten Vergangenheit offen gegen ihn rebellierten?

Economides: Die Gewerkschaften in Griechenland sind im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten recht klein, sie sind aber mächtig, weil sie Schlüsselbetriebe des öffentlichen Lebens kontrollieren können, etwa die Elektrizitätswerke. Sie können der PASOK sehr große Probleme bereiten und tun das auch, weil sie die Partei erpressen. Die Gewerkschafter gehören eigentlich zu jenem Teil der Wähler, von denen die PASOK sich Unterstützung erwartet. Nun versuchen sie aber schon lange und recht konsequent, den Rettungsplan und die Regierungspolitik zu unterminieren. Papandreou versucht natürlich verzweifelt, Unterstützung von den Gewerkschaften zu bekommen, weil er jede Hilfe braucht.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich die Politik der konservativen Opposition, die jede Zusammenarbeit mit Papandreou seit jeher strikt ablehnt?

Economides: Die Opposition in Griechenland spielt seit 18 Monaten ein sehr gefährliches, polarisierendes Spiel. Sie tut, was eine Opposition tun muss, nämlich gegen die Regierung auftreten. Aber in dieser Situation ist das tollkühn. Zum Teil gab es aber auch konstruktive Kritik, die eine Notwendigkeit des Rettungsplans einräumte, Teile davon aber anders, wachstumsorientiert gestalten wollte, weil die Reform so die Konjunktur gefährde. Unter dem Strich ist Oppositionschef Antonis Samaras ein sehr ehrgeiziger Mann, der leider die meiste Zeit Parteipolitik betreibt. Der Opposition war es wichtiger in die Regierung zu kommen als darauf zu achten, was das Beste für das Land ist.

derStandard.at: Nun sind die Meinungsumfragen doch auch für die konservative Opposition nicht wirklich ermutigend.

Economides: Es handelt sich wie gesagt um ein Problem der gesamten griechischen Politik, beide Großparteien stehen extrem schlecht in Umfragen da. Gäbe es morgen Wahlen, könnte keine der beiden eine Regierung bilden - außer einer Großen Koalition.

derStandard.at: Wirtschaftsfiasko, Fremdbestimmung, massive Einwanderung: eigentlich doch das perfekte Rezept für rechte Populisten. Warum ist da niemand, der dieses Feld in Griechenland besetzt?

Economides: Es gibt ja eine Partei im Parlament, die Populismus und rechten Nationalismus zum Programm hat, LAOS. Diese Partei ist aber nicht wirklich ernst zu nehmen, schon weil ihr Chef nicht als besonders glaubwürdig wahrgenommen wird. Die von Ihnen angesprochenen Themen werden üblicherweise ohnehin von den beiden Großparteien kanalisiert. In den vergangenen 18 Monaten neigten die Griechen dazu, den Rettungsplan zum Anlass zu nehmen, Griechenland als ein Land zu porträtieren, das sich in der Hand von Ausländern und fremden Mächten befindet. Das hat natürlich zu einer gewissen Xenophobie und einem Nationalismus geführt, was das Land letztlich destabilisiert.

Viele Griechen meinen, ihr Land würde ausverkauft, an eine Art Firma Europa, an Deutschland, an die Nordländer. Das zeigt, wie wenig Verständnis für die Dimension der Krise vorhanden ist und wie man aus ihr wieder herauskommen kann. Die Griechen leiden enorm unter dem Sparkurs, nicht nur eine bestimmte soziale Klasse, sondern alle, vor allem die Mittelklasse. Es ist natürlich einfach, dem Ausland die Schuld zu geben, aber das ist zu simpel. (flon/derStandard.at, 3.11.2011)