Ein edles Ross, wie Kinsky-Experten argumentieren, oder ein falscher Gaul, wie ein Gutachter vermutet? Das ist die Kernfrage eines Disputs, der am 9. November 2010 seinen Anfang nahm. In den Abendstunden jenes Tages herrschte im Auktionssaal im Palais Kinsky dichtes Gedränge, Sitzplätze waren Mangelware und potenziellen Käufern vorbehalten. Die Schaulustigen fädelten sich entlang der Wände auf, zwischendrin ein Kamerateam.
Der Star des Abends war ein Trauergemälde Egon Schieles aus der Sammlung Ronald Lauders. Gemessen am erteilten Zuschlag bei 3,5 Millionen Euro netto wurde die Prozession (1911) ihren Erwartungen gerecht. Jetzt gastiert es im Leopold Museum ("Melancholie & Provokation", bis 30. 1. 2012) und offenbart in Ernst Ploil seinen (neuen) Besitzer. In seiner Funktion als Kinsky-Gesellschafter und auch als Rechtsanwalt sollte der passionierte Sammler einige Wochen später jedoch mit einem anderen an diesem Abend verzeichneten Besitzerwechsel zu tun bekommen.
Mit 15.000 bis 30.000 Euro bezifferte man die Erwartungen für ein Elfenbeinpferd, datiert in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem Umkreis des kaiserlichen "Kammerbeinstechers" Matthias Steinl zugeschrieben. Den ursprünglichen Auftraggeber wähnte man im Umfeld des Wiener Hofes, schlicht weil Arbeiten dieser Güte und jener Zeit nur für einen überschaubaren Personenkreis zu einer finanzierbaren Kostbarkeit zählten. Die im Katalog angeführten Vergleichsbeispiele, von Königen und Kaisern "berittene" Varianten, stammten aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien.
Munter schmissen sich Interessenten übers Telefon und im Saal ins Bietergetümmel. Einer behielt die Oberhand, konkret Achim Neuse, der das exquisite Kunstkammer-Ross mit diskretem Kopfnicken von der Koppel führte, wie der Standard (13. 11. 2010) damals berichtete.
Barocke Weitschweifigkeit
245.000 Euro hatte der Kunsthändler aus Bremen bewilligt, zuzüglich der Käuferprovision bezahlte er insgesamt 296.750 Euro. Wann erste Zweifel aufgetaucht waren, ob von Kollegen geschürt oder wissenschaftlich untermauert, Neuse will auf aktuelle Anfrage weder das eine noch das andere kommentieren. Auf Basis eines Gutachtens wurde das Geschäft rückgängig gemacht, aus purer Kulanz wie Michael Kovacek betont, da man einen Prozess gewonnen hätte.
Denn der verantwortliche Kinsky-Experte ist davon überzeugt, dass etwa an der Datierung nicht zu rütteln sei. Nein, eine naturwissenschaftliche Analyse, so sei ihm von entsprechenden Institutionen bescheinigt worden, mache keinen Sinn. Elfenbein verfüge über zu wenig mineralisches und organisches Material, um Zeiträume unter 200 bis 300 Jahren eingrenzen zu können. Zumal ja auch ein alter Stoßzahn verarbeitet hätte werden können.
Das dem Auktionshaus vorliegende Negativgutachten verfasste Eike Schmidt, Kurator am Minneapolis Institute of Arts und heuer auch Debütant in der Tefaf-Jury. Sein Fazit: Basis stilistischer Kriterien sowie technischer und anatomischer Merkmale könne er sich der Steinl-Zuschreibung nicht anschließen und ordnet es deshalb als "charakteristisch für die Fälscherwerkstätten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts" ein.
Ein hartes Urteil, denn - bei aller barocken Weitschweifigkeit, mit der etwa Mähne und Schweif analysiert wurden - Vergleiche zu Arbeiten anderer zeitgenössischer Barockschnitzer blieb Schmidt schuldig. Im KHM stießen Kinsky-Experten bei aktuellen Recherchen etwa auf ein Relief von Ignaz Elhafen (1658 - vor 1715), das partielle Ähnlichkeiten in der anatomischen Darstellung aufweist.
Für Michael Kovacek ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass der Bildschnitzer mit Elfenbeinarbeiten des Kaiserhauses vertraut gewesen sein muss und die Zuchtlinie damit im Umfeld von Steinl oder Elhafen zu finden sei, zeitlich nunmehr auf 1680 bis 1720 abgezäunt.
Irrt der Tefaf-Juror?
Ein nicht gerade unwesentliches Detail dürfte Eike Schmidt schlicht übersehen haben: Den Schweif bezeichnet er als "technisch komplexes" und "typisches Drechsel-Kunststück", eine Technik, für deren Beherrschung aber "im OEuvre Steinls jedweder Hinweis" fehle. Nun, die ursprüngliche und 2010 im Katalog angeführte Annahme, dass dieser an der Drechselbank ausgeführt wurde, erwies sich als Irrtum. Der Schweif sei geschnitzt und keinesfalls gedrechselt, ließ sich Michael Kovacek zwischenzeitlich von Fachleuten belehren. Um diese und die anderen jüngsten Erkenntnisse ergänzt, dreht das in "Wien um 1700" gefertigte "Elfenbeinpferd in spielerischer Pose" (Taxe 30.000-50.000 Euro) exakt 365 Tage später im Rahmen der 87. Auktion (9. 11. 2011) nun die nächste Runde. (kron, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 5./6. November 2011)