Wie kommt es, dass der Euro mit einem Aufschlag von 40 Prozent auf den US-Dollar gehandelt wird, obwohl die Anleger südeuropäische Staatsanleihen weiter mit großer Skepsis betrachten? Mir fällt ein sehr guter Grund ein, warum der Euro fallen muss, und sechs weniger überzeugende Gründe, warum er stabil bleiben oder aufwerten sollte.

Beginnen wir damit, warum der Euro fallen muss. In Ermangelung eines klaren Pfades hin zu einer engeren fiskalischen und politischen Union erscheint der aktuelle Mittelweg des Eurosystems zunehmend unhaltbar. Es scheint klar, dass die Europäische Zentralbank gezwungen sein wird, viel größere Mengen an (hoch spekulativen) Staatsanleihen zu kaufen. Dadurch wird eine Rekapitalisierung der EZB wahrscheinlich - entweder durch die stärkeren nördlichen Länder oder durch Geldschöpfung. So oder so droht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere Finanzkrise.

Was spricht für den gegenwärtigen Wert des Euro oder seinen weiteren Anstieg? Erstens reden sich die Anleger möglicherweise ein, dass die nördlichen Länder einen Supereuro schaffen werden. Zweitens könnte eine schwere Eurokrise einen Schneeballeffekt in den USA und anderswo nach sich ziehen. Drittens sind vielleicht ausländische Notenbanken und Staatsfonds an weiteren Eurokäufen interessiert, um Risiken in Bezug auf die USA und ihre eigenen Volkswirtschaften abzusichern. Viertens glauben die Anleger möglicherweise, dass die US-Risiken letztlich genauso groß sind wie die Europas. Fünftens scheint der aktuelle Wert des Euro auf Kaufkraftbasis nicht allzu sehr aus dem Rahmen zu fallen. Und schließlich könnte es ganz einfach sein, dass die Anleger glauben, dass der aktuelle Plan der Eurozone funktionieren wird, auch wenn zuvor ein Dutzend Pläne fehlgeschlagen sind.

Abraham Lincoln wird der Satz zugeschrieben: "Man kann manchen Menschen immer etwas vormachen und allen Menschen manchmal etwas vormachen, aber man kann nicht allen Menschen immer etwas vormachen." Analog lässt sich sagen, dass es sicher irgendwann eine umfassende Eurolösung für manche Euroländer, aber auf absehbare Zeit keine umfassende Lösung für alle Euroländer geben wird. Zählen Sie daher 2012 nicht auf einen stabilen Wechselkurs - und schon gar nicht auf einen noch stärkeren Euro. (© Project Syndicate 1995-2011, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 5./6.11.2011)