Neugebauer: "Ich habe eben ein deutliches Nein gesagt."

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Für "nicht gescheit" hält Fritz Neugebauer (ÖVP) Ankündigungen von Vizekanzler Michael Spindelegger und anderen Parteivertretern, das Pensionsantrittsalter rasch massiv anheben zu wollen. "Was bringt die Botschaft, dass die Leute zwei Jahre länger arbeiten sollen, wenn kein vorbereitetes Konzept dahintersteht?", sagt der oberste Beamtengewerkschafter und zweite Nationalratspräsident im Standard-Interview: "Ich bin dagegen, die Leute zu verunsichern." Das Bildungsvolksbegehren kritisiert Fritz Neugebauer als "überflüssig, lahm und überfrachtet".

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Standard: Sie sind 67 und denken nicht ans Abtreten. Gehören Sie zu jenen Leuten, die sich einmal aus dem Büro tragen lassen wollen?

Neugebauer: Um Gottes Willen, nein! Ich bevorzuge immer den aufrechten Gang - bis zum Ende. Aber solange ich die vier Sinne zusammen habe, werde ich der Faszination der Politik erliegen. Ich spüre noch das Feuer.

Standard: Läuft man nicht Gefahr, betriebsblind zu werden?

Neugebauer: Nicht in unserer Gewerkschaft, die in ihrer Vielfalt ein kleiner ÖGB ist. Die Konfrontation mit Berufsfreude und -leid in allen Facetten fordert einen täglich heraus. Mir geht es wie einem Bürgermeister, der dauernd auf der Straße angesprochen wird. Da wird man nicht betriebsblind.

Standard: Da gibt es Zweifel. Im Archiv findet sich kaum ein Porträt, das Sie nicht als "Betonierer" darstellt, der nur angeblich "wohlerworbenen Rechte" im Auge hat.

Neugebauer: Ich habe eben manchmal ein deutliches "Nein" gesagt - etwa gegen den Plan, Lehrer zwei Stunden länger arbeiten zu lassen, was 10. 000 Posten gekostet hätte. Dafür kann sich eine Gewerkschaft nicht hergeben.

Standard: Sie sagen dauernd Nein, weshalb Hannes Androsch Sie für den personifizierten Stillstand hält. Sein Bildungsvolksbegehren unterschreiben Sie wohl nicht?!

Neugebauer: Nein, obwohl der Hannes mich an diesem Tisch darum gebeten hat: "Du kannst dir ein Denkmal setzen!" Ich brauch aber kein Denkmal. Ich halte das Volksbegehren für höchst überflüssig, es ist lahm angelegt und überfrachtet. Da wird alles und nichts gefordert.

Standard: Unter anderem die Gesamtschule, die Heerscharen von Experten befürworten, um Kinder nicht durch voreilige Selektion ihrer Chancen zu berauben. Doch Sie bekämpfen dieses Modell.

Neugebauer: Weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass wir einen differenzierten Zugang zu den Kindern brauchen - und wir sind damit gut unterwegs.

Standard: Beim Pisa-Test schneidet Österreich doch schlecht ab.

Neugebauer: Wer schneidet am besten ab? Singapur und Südkorea etwa. Das sind Drillschulen, die wir ablehnen. In Deutschland zeigt sich: Schüler in Gesamtschulländern wie Berlin und Bremen hinken ein, zwei Jahrgänge hinter der Entwicklung in Bayern oder Baden-Württemberg nach.

Standard: Gesamtschulstaaten wie Finnland sind top.

Neugebauer: Dort sitzen aber nur 15 bis 20 Schüler in den Klassen, die von unheimlich viel Begleitpersonal betreut werden, das sich um Problemfälle kümmert. Den Einsatz von Begleitlehrern müssen auch wir ausbauen, in einem nächsten Schritt in der Volksschule zwecks Sprachförderung.

Standard: In meiner Volksschule war es so: Das Arbeiterkind wurde in die Hauptschule geschickt, die Arzttochter ins Gymnasium.

Neugebauer: Schauen Sie, mein Vater war Eisenbahner, meine Mutter Schneiderin. Dass ich trotzdem Lehrer wurde, verdanke ich einer Nachbarin, die gemeint hat, ich könne so gut mit Kindern umgehen. Das sind Zufälligkeiten, die eine Schule nicht beeinflusst.

Standard: Waren Sie eigentlich ein strenger Lehrer?

Neugebauer: Neulich hat mir ein Ex-Schüler, vielleicht in einer gewissen Verklärung, erzählt: Ich war streng, aber gerecht - und eine Hetz gab's auch. Freude!

Standard: Ministern klopfen Sie verbal ganz gerne auf die Finger.

Neugebauer: Nur wenn mir jemand mit Vorurteilen kommt.

Standard: Hat Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek das bei den laufenden Gehaltsverhandlungen denn getan?

Neugebauer: Es hieß, sie sei irritiert, weil ich vorab Forderungen gestellt hätte. Dabei hat sie selbst uns schon im Juli ausgerichtet, dass es für die Beamten kein Wünsch-dir-Was spielt.

Standard: Sind die 4,65 Prozent Gehaltserhöhung, die Sie fordern, in Krisenzeiten nicht überzogen?

Neugebauer: Wir haben die erste Krise auch deshalb gut durchtaucht, weil die Kaufkraft nicht durch Nulllohnrunden zerstört wurde. Die 4,65 Prozent ergeben sich im Sinne einer abgewandelten Benya-Formel aus Inflation plus halbem Wirtschaftswachstum - als erste Forderung, nicht als Abschluss. Unsere Abschlüsse lagen in den vergangenen Jahren ohnehin immer unter jenen der Privatwirtschaft.

Standard: Dafür haben öffentliche Bedienstete ziemlich sichere Jobs.

Neugebauer: Beim Billa zahlen sie aber nicht weniger für die Milch.

Standard: Ist Streik eine Variante?

Neugebauer: Wenn man uns gar nichts geben will, ergreifen wir Maßnahmen. Das Schlimmste wäre Dienst nach Vorschrift, denn dann steht der Betrieb. Wir sind ja ziemlich überbürokratisiert.

Standard: Ein anderer Beamtenvorteil: Es gibt sanftere Übergänge bei der Pensionsreform. Könnte man diese nicht beschleunigen?

Neugebauer: Die Übergangsfristen entsprechen dem verfassungsmäßigen Vertrauensschutz. Unser Systemwechsel bringt auf Dauer Milliarden. Ich bin auch dagegen, die Leute zu verunsichern, indem hauruckartig ständig neue Reformen angekündigt werden.

Standard: Das tun aber ÖVP- Politiker von Vizekanzler Michael Spindelegger abwärts ständig.

Neugebauer: Das halte ich von der Methode her nicht für gescheit. Was bringt die Botschaft, dass die Leute zwei Jahre länger arbeiten sollen, wenn kein vorbereitetes Konzept dahintersteht? Da muss ja auch die Wirtschaft mitspielen.

Standard: Auch in der ÖVP hält Sie mancher für ein Auslaufmodell. Haben Ihnen Parteifreunde zur neuerlichen Kandidatur gratuliert?

Neugebauer: Ja. Viele haben mir gesagt: "Gott sei Dank! Du bist unbequem, aber berechenbar." (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.11.2011)