Mit Bussen werden junge Anhänger Ortegas in Dörfer gebracht, um dort Wahlkampf für ihn zu machen.

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Show-Wahlkampf auf nicaraguanisch.

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Daniel Ortega steht wider die Verfassung vor einer neuen Amtszeit.

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Der Truthahn baumelt leblos über der erdigen Straße. Die Füße an einen Strick gebunden, geht es um seinen Kragen. Im gestreckten Galopp greift ein Reiter nach dem anderen nach seinem Hals, bekommt ihn zu kurz fassen, rutscht ab, nimmt erneut Anlauf. Bis ein kräftiger Ruck der Jagd ein Ende bereitet: Truthahnkopf und Reiter entschwinden unter hartem Trommelwirbel den Blicken der Schaulustigen. Es ist Wahlkampf in Nicaragua, daran führt auch in kleinsten Dörfern im Regenwald kein Weg vorbei.

Parolen der Sandinistischen Befreiungsfront prangen an den ärmlichen Hütten von Agua Maria tief im Landesinneren. Unter Plakaten ihres Führers und Präsidenten Daniel Ortega harrt ein kleines Trüppchen Menschen in der sengenden Mittagshitze aus. Der von Pferdehufen aufgewühlte Staub flimmert.

"Er hat Straßen und Häuser für euch gebaut. Nur das beste Wellblech gibt es für die Armen. Ihr wisst ja, wo ihr das Kreuz am Wahltag machen müsst", scheppert es aus Lautsprechern, ehe die Stimme in der musikalischen Endlosschleife von Ben Kings Stand by me untergeht. Lastwagenweise hat man Jugendliche zugleich in die umliegenden Städtchen gekarrt. "Für die Revolution, für Ortega! Viva el Comandante!", rufen Mädels fahnenschwenkend, bevor sie zurück in den Bus und an eine andere Ecke geordert werden. Sie kriegen dafür Geld, murmelt ein Beobachter, aber laut aussprechen würde er das nicht: "Zu gefährlich."

Ortega ist sich des Wahlsiegs am Sonntag sicher. Der frühere linke Revolutionär tat seit seiner zweiten Amtszeit alles, um seine Macht zur Alleinherrschaft auszubauen. Politische Gegner wurden juristisch verfolgt, unabhängige Medien drangsaliert, zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschüchtert. Sämtliche wichtige Institutionen sind in seiner Hand, Oppositionsparteien zersplittert und schwach. Einstige Weggefährten sprechen von Familiendiktatur und Korruption. Von der hehren Idee der Revolution nach dem Ende der jahrzehntelangen Gewaltherrschaft des Somoza-Clans 1979 sei nichts mehr übrig.

"Ortega hat den politisch besten Schachzug seit Jahren hingelegt. Es ist freilich ökonomischer Zynismus", sagt Nestor Avendaño, einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten Nicaraguas. Gäste empfängt er in seinem Haus in Managua. Eine Marienstatue ziert dort den Vorgarten, drinnen kämpfen Ventilatoren vergeblich gegen die Schwüle.

Avendaño erzählt von Geldern aus Venezuela, die Ortega in die Infrastruktur steckt, mit denen er die Preise für Energie und Lebensmittel niedrig hält und kostenfreien Zugang zu Ärzten wie Bildung schafft. Die Schulden, in die sich das Land stürzt, sind an den privaten Konzern Albanisa ausgelagert. Sie belasten die Staatskasse nicht - abbezahlt gehören sie dennoch. Noch habe Ortega Zuspruch der Armen wie der Reichen - "aber es werden bald Jahre der Trauer folgen".

Die Zeit der Geschenke aus Venezuela sei vorbei, höhere Steuern, Lebens- und Pensionskosten bahnten sich an. Vom Sozialsystem erfasst sei aber nur ein Fünftel der Bevölkerung: 76 Prozent arbeiten in der Schattenwirtschaft, 40 Prozent der Erwerbstätigen sind unterbeschäftigt, rechnet Avendaño vor. Auf dem Land lebten 65 Prozent von weniger als eineinhalb Dollar am Tag. Eine fünfköpfige Familie benötige im Monat 470 Dollar, um über die Runden zu kommen - das ist das Dreifache des Mindestlohns.

Die kostenlose Gesundheitsbetreuung sei Ortega hoch anzurechnen, sagt Gerardo Mejia, Leiter des größten Kinderkrankenhaus des Landes, während er durch die Gänge führt. Es fehlt an allem, widerspricht eine Krankenschwester. Bis zu 40 Prozent der krebskranken Kinder überlebten nicht. In Ermangelung nötiger Medikamente werde oft amputiert. "Der Weg hierher ist für viele überhaupt nicht leistbar." (DER STANDARD Printausgabe, 5.11.2011)