Alois Stöger (51), Sozialdemokrat, ist seit 2008 Gesundheitsminister und führte zuvor die Oberösterreichischen Krankenkassen.

Foto: Matthias Cremer

Standard: Hat Sie das Urteil des EGMR überrascht?

Alois Stöger: Ja. Ich hätte erwartet, dass die erste Entscheidung bestätigt wird. Wenn man es genau liest, merkt man die leichte Kritik an Österreich. In Wirklichkeit empfiehlt der Gerichtshof, dass wir handeln.

Standard: Die ÖVP sagt, sie fühle sich bestätigt. Bedeutet das Urteil nun Stillstand für Österreich bei dem Thema?

Stöger: Die Situation ist klar. Alle, die sich damit beschäftigen, sehen den Handlungsbedarf. Ich bleibe bei meiner Position, dass die österreichische Gesetzeslage nicht mehr zeitgemäß ist. Für mich ist eines ganz deutlich, und das sagt auch der Entscheid: Es werden durch das Verbot nur deshalb keine Menschenrechte verletzt, weil der Gesetzgeber die Behandlung im Ausland zulässt. Wenn es hingegen in ganz Europa illegal wäre, würden wir sehr wohl Menschenrechte berühren. Das bedeutet, wir stehen bereits hinter dem internationalen Standard.

Standard: Ist es nicht bigott, dass man in österreichischen Kliniken problemlos Adressen von Partnerkliniken im Ausland bekommt?

Stöger: Daran erkennt man ja den Handlungsbedarf.

Standard: Wie ist das Gesprächsklima mit der ÖVP?

Stöger: Ich glaube, dass es innerhalb der ÖVP keine einheitliche Linie bei der künstlichen Befruchtung gibt. Aber es gibt durchaus Parteimitglieder, die in eine liberale Richtung gehen und das Gesetz den gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen wollen. Diese Gruppen müssen gestärkt werden.

Standard: Was sind Ihre Argumente für die Position, das Gesetz zu lockern und Homosexuellen sowie Alleinstehenden die künstliche Befruchtung zu gestatten?

Stöger: In dem Urteil kommt deutlich zur Sprache, dass das Verbot nur deshalb nicht menschenrechtswidrig ist, weil Österreich die Behandlung im Ausland nicht verbietet. Wir sind damit ganz klar unter dem Level der Norm. Es ist an der Zeit, liberaler zu sein. Wir müssen Eizellenspenden, solange sie streng geregelt sind, ermöglichen. Das Verbot von künstlicher Befruchtung für Homosexuelle ist nicht Gegenstand der Klage - das könnten wir trotzdem erlauben.

Standard: Was sind die nächsten Schritte, damit es zu Veränderungen kommen kann?

Stöger: Wir werden unsere Position immer wieder einbringen. Ich dränge stark in die Richtung, das Fortpflanzungsmedizingesetz zu ändern, und versuche das in Gesprächen mit der zuständigen Ministerin zu schaffen.

Standard: Welche Unterstützer haben Sie denn?

Stöger: Es gibt eine ganz klare Position in der Sozialdemokratie. Zudem sagen viele Menschen, die sich im Rahmen der Bioethik-Kommission damit beschäftigen, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun. Moderne Menschen werden es schaffen, eine zeitgemäße Regelung zustande zu bringen.

Standard: Wie sehen Sie die Präimplanationsdiagnostik?

Stöger: Wir unterstützen das grundsätzlich. Es ist ein gutes Zeichen, dass hier Vernunft einkehrt.

(Die Fragen stellte Julia Herrnböck, DER STANDARD, Printausgabe 5./6.11.2011)