Linz - Die Bestellung von Hans Joachim Frey zum neuen künstlerischen Leiter der Linzer Veranstaltungsgesellschaft (Liva), zu der auch das Brucknerhaus gehört, sorgte in der oberösterreichischen Landeshauptstadt für Aufregung. Kulturstadtrat Erich Watzl (ÖVP) hatte gegen den Deutschen gestimmt, der 2013 Wolfgang Winkler nachfolgt. Frey hatte das Theater Bremen 2010 vorzeitig verlassen. Ihm wurde Misswirtschaft vorgeworfen.
STANDARD: Welchen Eindruck haben Sie bisher von Linz gewonnen?
Frey: Linz hatte für mich immer schon einen großen Reiz wegen der Symbiose aus alt eingesessener Wirtschaft und neu entstandenem Kulturbewusstsein. Während der Europäischen Kulturhauptstadt konnte man von außen sehr schön sehen, was in der Stadt passiert.
STANDARD: Wie sieht eine Kulturstadt Linz zwischen Wien und Salzburg aus?
Frey: Salzburg steht für das große Festival, das Touristen aus aller Welt anlockt. Das macht Salzburg sehr professionell. Wien steht für die großen etablierten Häuser. Wenn Salzburg golden ist und Wien silbern oder umgekehrt, kann ich natürlich nicht sagen, Linz ist platin, aber vielleicht gelb oder orange. Diese Farbe ist auch etwas Besonderes. Ich glaube, Linz hat dann eine Chance, wenn es außergewöhnliche Konstellationen, Eigenes erschafft. Es gibt diese Ressourcen, die nach dem Erfolg mit der Kulturhauptstadt ausgebaut werden müssen.
STANDARD: Was wollen Sie "erschaffen", wenn Sie ab 2013 künstlerischer Leiter der Liva und damit auch des Brucknerhauses sind?
Frey: Kultur darf auf keinen Fall elitär sein, deshalb bin ich offen für alle Formate. Also, wenn ich Top-Künstler habe wie Udo Jürgens oder Herbert Grönemeyer, so gehören die für mich genauso nach Linz wie das Brucknerfest. Ich muss das Angebot erweitern. Mit klassischer Musik erreiche ich maximal neun Prozent der Bevölkerung. Mit Musicals komme ich auf 18 Prozent, wenn ich jetzt noch in den Volksliedbereich und in den Pop gehe, komme ich auf 30 Prozent einer Gesellschaft, die konkret zu einer Veranstaltung gehen. Zugleich muss ich in den jeweiligen Sparten ganz klar Qualität bieten, damit Klassikfreaks, Popfreaks und auch die Volksmusikfans nach Linz kommen. Ich darf nicht allein im klassischen Segment bleiben.
STANDARD: Zu dem klassischen Segment gehört in Linz das Brucknerfest. Der noch amtierende künstlerische Direktor Wolfgang Winkler hält eine Neuausrichtung für notwendig. Er denkt an zwei Bruckner-Schwerpunkte im Frühjahr und im Sommer. Wird es das Festival im September 2013 nicht mehr geben?
Frey: Also das Brucknerfest ist unverzichtbar, man muss es nur neu aufstellen. Gleichzeitig muss man immer mit Offenheit herangehen und sich fragen, wo steht die klassische Musik, wer rezipiert diese?
STANDARD: Welche Rolle kann das Brucknerhaus neben dem neuen Musiktheater spielen? Entsteht damit nicht unnötige Konkurrenz?
Frey: Das neue Musiktheater wurde vor zehn Jahren konzipiert. Heute frage ich mich, wie geht Linz mit diesen 1000 Plätzen um, die jeden Abend zusätzlich auf dem Markt sind. Zuerst wird das Musiktheater den Effekt der europäischen Kulturhauptstadt haben. Wenn das Haus 2013 neu aufmacht, wird es ein, zwei Jahre eine Topauslastung haben, denn jeder will einmal hinfahren. Dann beginnt für das Haus die kritische Phase. Und wenn diese anfängt, haben wir hoffentlich etwas geschaffen und neues Publikum gewonnen. Aber nicht im Sinne eines Verdrängungswettbewerbs. Ich mache nicht weniger Klassik, aber ich suche Schienen daneben. Ein Konzept der Vielfalt mit E- und mehr U-Musik, das ist meine Vorstellung von einer neuen Segmentierung. So kann es ein Festival für Chöre geben, anschließend Orgeltage, dann Grönemeyer oder Jürgens, dazwischen wäre Platz für das Brucknerfest, das Brucknerorchester oder eine Kammerorchester-Reihe. Jeden Monat ein vier- bis fünftägiges kleines Festival ist die Idee. Ich mache also nichts anderes, als die achtzig Prozent, die schon da sind, völlig neu zu mischen und zwanzig Prozent an neuen Veranstaltungen einzufügen.
STANDARD: Ohne Sponsoring wird sich dies nicht umsetzen lassen. Wo wollen Sie Förderer finden?
Frey: Auch Dresden und Bremen sind keine sogenannten Primärstandorte, und trotzdem ist es mir gelungen, dort viele Sponsoren zu gewinnen. Ich habe jetzt zwei Produktionen in Russland gemacht, und auf einmal hatte ich drei, vier Sponsoren aus Deutschland, die sich in Russland präsentieren wollten. So gibt es umgekehrt genug internationale Firmen, die verstärkt auf den deutschsprachigen Markt wollen.
STANDARD: Als Sie 2007 als künstlerischer Direktor ans Theater Bremen kamen, klangen Ihre Pläne für jenes Haus nicht weniger ambitioniert als jetzt für Linz. In Bremen sind Sie gescheitert. 2010 wurde Ihr Vertrag vorzeitig aufgelöst. Sie hinterließen einen Schuldenberg von knapp fünf Millionen Euro.
Frey: Bremen war völlig anders, ich bin auch freiwillig gegangen. Das war für mich von vornherein eine Totgeburt. Die Politik holte mich für eine Umstrukturierung, denn das Haus hatte bereits bei meinem Dienstantritt fünf Millionen Euro Schulden und eine Insolvenzdebatte. Das Theater war jahrelang unterfinanziert. Ich sollte dort mit weniger Geld mehr spielen. Wozu ich stehe, ist das Minus beim Musical Marie Antoinette, da blieb Bremen mit den Besuchern hinter den Erwartungen zurück. Für alles andere stehe ich nicht ein. (Kerstin Scheller und Markus Rohrhofer, DER STANDARD - Printausgabe, 5./6. November 2011)