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Auf Fotos für "News" trug Sebastian Kurz beim Klettern Socken. Das tut in der Halle kaum jemand - außer in Leihschuhen.

Foto: REUTERS/Matt Mills McKnight

Sebastian Kurz wirkte verdutzt: Natürlich klettere er tatsächlich. Wie ich auf die Frage käme? Weil es einem gut gecoachten Politiker aber nicht ansteht, so einer Frage eine zweite - nämlich die, was das den Fragesteller überhaupt angehe - nachzusetzen, warf mir der Integrationsstaatssekretär ein typisches Politikerlächeln zu. Dann fischte er seine Socken aus dem Spind.

Wir waren beide gerade aus der Dusche gekommen, hatten jeder ein Handtuch um die Hüften gewickelt und waren im Kopf am Weg vom morgendlichen Training in den Arbeitstag: Kurz kam vom Workout, ich vom Schwimmen. Im Trainingsbereich hätten wir uns vermutlich in Pose geschmissen. Das hätte sich auch aufs Reden niedergeschlagen. Aber in Fitnesscenter-Umkleideräumen, mit verschwitztem Trainingszeug auf der Bank, ist mogeln sinnlos.

Die Kletterfrage

In dem Fitnessstudio war Kurz genau das, was man ihm im Polit-Alltag nicht mehr anmerkt: Ein junger Mann zwischen alten Säcken. Aber weil es komisch ist, sich vom Duschnachbarn per "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Staatsekretär" zu verabschieden, fragte ich eben die Kletterfrage.

Die hatte ich eigentlich schon vergessen gehabt: Bereits im August hatte "News"-Redakteurin Ingrid Brüggler den Staatssekretär für Integration porträtiert. Eines dieser "anderen" Politikerporträts, mit denen Magazine über den sogar offiziell inhaltslosen Polit-Sommer zu kommen hoffen - und die von Politikern und Beratern gern für Imagearbeit genutzt werden. Man will sich so zeigen, wie man möchte, dass das Volk glaubt, dass man wirklich ist. Das Ergebnis ist meist so gewollt, dass es schon wieder erhellend ist.

Kletter-Metaphern

Kurz hatte Brüggler in eine Kletterhalle gebeten. Die Botschaften: Junger Mann will hoch hinaus. Aus eigener Kraft - mit Technik und Köpfchen. Einer, der riskiert - aber nicht hasardiert. Einer, der Aufgaben sucht, um zu lernen. Vor allem, dass richtige Lösungen oft schon zwei Schritte vor der eigentlichen Aufgabe ... blablabla: Die übliche - und nicht einmal falsche - Kletter-Metaebenenkiste.

Außerdem passt Klettern super ins Imageportfolio: Heimat- und naturverbunden, aber auch ein boomender Trendsport. Während die Alten wandern, bergsteigen und pilgern (Fischer, Faymann, Schüssel, ...), zeigt ein Junger Dynamik auf einem Foto: Kurz, lächelnd im "Dach", einem Überhang in der Halle.

Jörg im Fels

Mich erinnerten die Bilder an eine Jörg-Haider-Fotoserie: der Kärntner beim Klettern. In einer Position, die sogar den Huber-Buam Respekt eingeflößt hätte. Dass die Waghalsigkeit nur aufgrund von Blickwinkel und Bildschnitt entstanden und die Fotos in einem Anfänger-Klettergarten gemacht worden sein sollen, sprach sich erst später herum.

Die Halle, in der die Kurz-Fotos entstanden waren, kenne ich. Wie und ob der Staatssekretär selbst in den Überhang gekommen war? Keine Ahnung. Doch mein "in dubio pro reo" ließ eine Freundin abstürzen. Sie - Klettertrainerin, Wettkampfkletterin und auf der ganzen Welt für Kletter-Fotosessions gebucht - lachte, als sie die Bilder sah: Den Fehler, meinte sie, müsste jeder sehen, der selbst öfter als dreimal in einer Halle geklettert sei. Denn spätestens beim dritten Mal habe jeder eigene Schuhe.

Socken?

Da sahen wir es auch: Kurz trug Socken. Das tut in der Halle kaum jemand - außer in Leihschuhen. Der Grund hat nichts mit Style zu tun. Er ist rein praktisch: Kletterschuhe sind sehr eng. Um es dezent zu sagen. Je enger am Zeh, umso besser der Halt. Kletterschuhe tun anfangs weh. Man kauft sie absichtlich zu klein. Socken? Auf diese Idee kommen da nur wenige Leute.

All das ging mir durch den Kopf, als ich Sebastian Kurz im Umkleidebereich des Fitnesscenters fragte, ob er denn wirklich und tatsächlich klettere.

Ja, Socken.

Er sah mich verdutzt an, lächelte eine Zehntelsekunde gequält - und sagte dann: "Ja, sicher. Wieso?" Ich erzählte ihm von der "News"-Geschichte und von der Frage, die ihm zu stellen mir aufgetragen worden war. Kurz wiegte den Kopf: Daran, sagte er, habe er damals wirklich nicht gedacht. Er klettere wirklich mit Socken. Immer schon. "Das habe ich mir einfach so angewöhnt."

Kurz veränderte sich dabei sein Lächeln. Von eingeschult zu bubenhaft-verlegen. Deshalb glaube ich ihm. Und - gemein, aber wahr - weil Kurz klettert, ist es eigentlich egal, ob mit oder ohne Socken. Mir jedenfalls - aber nicht meiner Bekannten.

Sie will, dass ich den Staatssekretär noch folgende Fragen stelle: Ob er es wirklich nie ohne Socken versucht habe - und wo er den Vorteil des Kletterns mit Socken erkenne? Das, so die Kletterfachfrau, interessiere sie tatsächlich. Und falls ich mich weigern sollte, werde sie Kurz eben selbst fragen. Notfalls in der Herrenumkleidekabine. (Thomas Rottenberg, derStandard.at. 7.11.2011)