Die schwierigsten Entscheidungen kann einem niemand abnehmen. Zum Beispiel: Braucht man eine Psychotherapie? Und wenn ja, bei wem? Für welche der in Österreich 22 anerkannten Methoden entscheidet man sich?

Sind diese Fragen einmal, womöglich mithilfe einer Beratungsstelle, geklärt und die ersten Stunden mit einem guten Gefühl im Bauch verbracht, ist der Erfolg immer noch nicht garantiert: Die gewählte Methode kann sich auch später noch als ungeeignet erweisen, die Beziehung zum Therapeuten kann sich verschlechtern. Auch in der Beziehung zum Partner, zur Familie oder zu Freunden kann es zu Krisen kommen: Dann nämlich, wenn Abhängigkeiten entstehen, wenn der Patient sich ausschließlich auf die Stunde mit dem Therapeuten fokussiert und möglicherweise nicht gleich bemerkt, dass er sich in eine gesellschaftliche Isolation begibt.

Schließlich können auch Phasen der Symptomverschlechterung auftreten. Eva Pritz von der Sigmund-Freud-Privatuniversität vergleicht das mit der Einnahme von Antidepressiva, wo auch zuerst Nebenwirkungen auftreten, die dann aber in der Regel nach einigen Wochen deutlich weniger werden oder ganz verschwinden.

Selbstzweifel oder Selbstüberschätzung sind in der Psychotherapie deutliche Anzeichen von Nebenwirkungen. Spätestens dann sollten die Alarmglocken läuten. Immerhin liegen die Abbruchraten zwischen zehn und 30 Prozent. Und wer sich schließlich vom Therapeuten missverstanden oder nicht gehört fühlt, könnte auch den Weg zur Beschwerdestelle des Gesundheitsministeriums suchen.

Fragebogen für Problemfälle

Anton Leitner von der Donauuniversität Krems begann 2007 mit einem Team, Problemfälle auszuwerten, die seit 1991, seit dem Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes, gesammelt wurden. Die Forscher wussten aus den anonymisierten Daten nur die Beschwerdegründe. Danach zogen sie Vertreter aller anerkannten Therapiemethoden hinzu und fragten sie in Gruppendiskussionen nach ihren Erfahrungen. Die Ergebnisse beider Voruntersuchungen flossen in einen insgesamt elfseitigen Fragebogen, der an 1676 Personen verschickt wurde, die von der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) eine Therapie erstattet bekommen haben.

Nur 33 Prozent haben zurückgeschrieben. Leitner und sein Team entwickelten aus den am häufigsten beantworteten Fragen einen Online-Fragebogen, den 2056 User mit verwertbaren Antworten ausfüllten. Die Ergebnisse der empirischen Forschung sollen demnächst in internationalen Journals publiziert werden.

Deshalb hält sich Leitner auch weitgehend bedeckt, was die Inhalte betrifft. Immerhin verrät er, dass sich 80 Prozent sehr positiv über die Psychotherapie äußerten. Schlecht schnitt die Kombination zwischen einer Patientin und einem männlichen Therapeuten ab, wobei die dahinterliegenden Gründe in dieser Studie nicht geklärt werden konnten. Auch die Dauer der Therapie war entscheidend: Je länger sie ging, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, abhängig oder überfordert zu sein.

Wertungen sahen Leitner und sein Team in diesen Ergebnissen nicht. Sie entwarfen aber einen "Beipackzettel", der "wie bei Pharmaprodukten auf Risiken und Nebenwirkungen hinweist". Die Psychotherapie sei ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung nämlich "ein tiefer Eingriff in den Patienten", wenn auch keiner, den man passiv über sich ergehen lassen sollte. Der Patient müsse sich "hochaktiv beteiligen" und negative Entwicklungen mit dem Therapeuten besprechen.

Für Leitner existiert daher auch keine Schuldfrage. Man müsse hierzulande einmal das Problembewusstsein schaffen. Das bestehe zwar in der Psychotherapeuten-Community, nicht aber in der Öffentlichkeit. Nachdem die Berufsgruppe vor zwanzig Jahren endlich anerkannt wurde, wollte man "vor allem Vertrauen schaffen" und mit "Effizienzanalysen" zeigen, welche Chancen eine Psychotherapie bietet.

Mehr ausdifferenzieren

Im besten Fall, sagt Leitner, würden die Ergebnisse nun in die Lehrpläne für die Ausbildung einfließen und eine Basis für weiterführende Forschungsarbeiten sein, "die vielleicht noch mehr ausdifferenziert ist". In der vorliegenden Studie wurde nicht zwischen den Krankheiten unterschieden, mit denen Patienten zur Beratung gehen. "Aber es war wichtig, mit der Forschung in diesem spezifischen Feld einmal anzufangen." Das sieht auch Pritz so: "Es gibt Therapeuten, die nicht so gern auf das Thema Therapiemisserfolg schauen."

Die Situation in Deutschland ist jener in Österreich nicht unähnlich: Der Berliner Tagesspiegel beklagte vor etwa einem Jahr, dass sich nur wenige Wissenschafter mit Misserfolgen in der Psychotherapie beschäftigen. Eine publizistische Großtat in Sachen Aufklärung kündigt aber die Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft für März 2012 an: Michael Linden von der Berliner Charité schrieb gemeinsam mit dem Psychologen Bernhard Strauß das 180 Seiten umfassende Buch Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie. In den USA ist die Forschung zum Thema viel weiter gediehen: Allen Bergin schrieb schon 1963 The effects of psychotherapy. Der Diskurs dauert seither an.

Gabriele Fischer von der Universitätsklinik für Psychiatrie der Med-Uni Wien begrüßt die "Initialdiskussion" auch im Zusammenhang mit der Patientensicherheit. Eine transparente Qualitätssicherung sei aber nicht nur im Fall der Psychotherapeuten, sondern insgesamt, also auch bei Gerichtsgutachten zu fordern. Sie sieht den Forschungsansatz außerdem als "Work in Progress" und sagt, dass Aussagen über Nebenwirkungen und "Therapieoutcome" nur bei prospektiven Studien mit vergleichbaren Diagnosegruppen grundsätzlich sein könnten. Die Therapie eines Borderline-Patienten, der "per se in Entwertung lebt", könne nicht mit jener eines Suchtkranken verglichen werden.

Ein methodischer Kritikpunkt, der auch den Kremser Forschern bewusst zu sein scheint. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 9. 11. 2011)