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"Ersatzmeer" Aquarium: Um die Tiere am Leben zu erhalten, lernen Forscher und Kinder eine ganze Menge über Meeresökologie.
Es ist schon ein wenig erstaunlich: Seit fast 100 Jahren hat Österreich keinen direkten Zugang mehr zum Meer, und dennoch leisteten und leisten heimische Wissenschafter bei seiner Erforschung wichtige Beiträge. Einer der öffentlichkeitswirksamsten ist der heute 92-jährige Hans Hass, der gemeinsam mit Jacques Cousteau auch maßgeblich zur Entwicklung des Freitauchens beitrug.
Die große Tradition der heimischen Meeresbiologie reicht - über Zoologen wie Rupert Riedl - bis in die Gegenwart: Gerhard Herndl, 2010 mit einem ERC-Grant und 2011 mit dem Wittgenstein-Preis ausgezeichnet, untersucht den Stoffwechsel von Bakterien in den weitgehend unerforschten Tiefen des Meeres. Tatsächlich sind über 30 Prozent des Weltmeeres 4000 bis 5000 Meter tief, und mehr als 70 Prozent des gesamten Wasservolumens ist Tiefsee, befindet sich also zwischen 500 Meter und dem Meeresboden, der weitaus schlechter kartiert ist als die Oberfläche des Mondes.
Freud als Meeresbiologe
Auch Konrad Lorenz und Karl Frisch, die bisher letzten beiden Nobelpreisträger der Naturwissenschaften aus Österreich (1973 für Medizin, gemeinsam mit Niko Tinbergen), hielten zeit ihres Lebens Fische und anderes Meeresgetier in Aquarien und forschten intensiv an der Färbung und dem Verhalten von Fischen. Und selbst einer, von dem man es nicht vermutet hätte, begann im Grunde als Meeresbiologe: Sigmund Freud verbrachte als 19-jähriger Student im Frühjahr 1876 ein Monat in der gerade erst eröffneten k. k. Zoologischen Station in Triest, um dort eher erfolglos an 400 Aalen nach deren Hoden zu suchen.
Damals war Triest noch Teil der Monarchie - und das Meer das große Unbekannte, das genau in dieser Zeit von Schriftstellern wie Jules Verne (Zweitausend Meilen unter dem Meer), Victor Hugo (Die Arbeiter des Meeres) oder Jules Michelet (Das Meer) ebenso erschlossen wurde wie von der aufkommenden Meeresbiologie. Parallel dazu entsteht eine weitere Form der Annäherung an die submarinen Welten: das Aquarium.
Eines der ersten öffentlichen Schauaquarien auf dem europäischen Kontinent errichtet der Biologe Gustav Jäger 1860 in Wien. In den folgenden Jahrzehnten werden kleinere Aquarien zum beliebten Einrichtungsgegenstand bürgerlicher Haushalte. Doch nicht nur Hobby-Aquarianer, sondern auch "echte" Forscher bedienen sich des Meeres im Kleinformat, wie Christina Wessely weiß.
Postkarten und Plankton
Die Wissenschaftshistorikerin von der Universität Lüneburg ist Mitorganisatorin der Tagung "Unter Wasser", die am Donnerstag und Freitag am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien stattfinden wird. Dabei werden - in Kooperation mit dem Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung - Meeresbiologen ebenso wie Medienwissenschafter und Wissenschaftshistoriker von der Erforschung submariner Lebensformen zwischen Ozean, Aquarium und Computer berichten.
Die Themen der neun Vorträge sind ebenso disparat wie vielversprechend: Es wird um marine Bildpostkarten um 1900 ebenso gehen wie um die Erforschung der Kommunikation zwischen Delfinen und Menschen im Jahr 1965, das vergängliche Wesen von Plankton oder die US-Unterwasserfotografie der 1920er- und 1930er-Jahre.
Wissenschaftshistorikerin Wessely ist im Besonderen an Aquarien interessiert, mit denen "offenbar gut denken ist - auch und zumal über ökologische Zusammenhänge": Der Witz beim Aquarium sei es ja unter anderem, "die Tiere am Leben zu halten". Dafür wiederum müsse man fast notgedrungen etwas wissen über Lichteinfall und den Sauerstoff- und Salzgehalt des Wassers, über Wasserkreisläufe und Wasserpflanzen sowie deren Wirkung auf dieses labile System.
Ökosysteme im Kleinen
Bei einem Aquarium handle es sich also um ein Gefäß, das gleichsam dazu anleite, auf das "Ganze" und damit auf Ökosysteme hin zu forschen, wofür Wessely auch einen prominenten Kronzeugen aufbieten kann: Verhaltensforscher Konrad Lorenz habe 1980 rückblickend gemeint, dass es die Aquarienhaltung gewesen sei, die ihn mit der Nase darauf gestoßen habe, Umweltwissenschaft zu treiben. (Klaus Taschwer//DER STANDARD, Printausgabe, 9. 11. 2011) p